„Der Kernbereich des Geheimen wird mit aller Macht geschützt“

ZENTRALE Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom verrät, was künftig im Inneren des BND vor sich geht, wo die Unterschiede zur NSA liegen – und warum neue Nachbarn den Nachrichtendienst fürchten müssen

■ 60, ist Geheimdienstexperte und Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik im bayerischen Weilheim. 2005 wurde bekannt, dass er in den 1990er Jahren selbst lange vom Bundesnachrichtendienst überwacht wurde.

INTERVIEW KONRAD LITSCHKO

taz: Herr Schmidt-Eenboom, kommendes Jahr sollen erste Mitarbeiter in die neue BND-Zentrale in Mitte einziehen. Können Sie uns verraten, was diese machen werden?

Erich Schmidt-Eenboom: Das wird ein weit gefächerter Bereich von Aufgaben sein. Die gesamte Verwaltung des BND wird künftig in Berlin sitzen, dazu der Bereich der Auswertung und die Sicherheitsabteilung, die sich um den Schutz der Geheimdienstarbeit kümmert.

Wird man auch echte Agenten zu Gesicht bekommen?

Sicher nicht. Es gibt weiter Kernbereiche des Geschäfts, die aus Gründen der Konspiration nicht mitten in Berlin stattfinden werden. Und dazu gehört die Abteilung Agentenführung, deren Mitarbeiter sicher nicht mitten in Berlin in der Zentrale ein- und ausgehen werden. Dafür hat der BND traditionell ein System von sogenannten Führungsaußenstellen, von denen aus Anbahner Agenten anwerben und führen.

Weiß man, wo das passiert?

Nein, das ist selbstverständlich geheim. Ganz überwiegend aber im Inland. Meist sind die Außenstellen als Wirtschaftsunternehmen getarnt.

Wie viele Agenten führt der BND denn?

Auch das ist logischerweise geheim. Man darf aber davon ausgehen, dass es irgendwas zwischen 500 und 1.000 sind.

Zurück nach Berlin. Sitzen dort in der Zentrale also nur spröde Verwalter?

Nein, auch der gesamte Bereich der Auswertung wird dort stattfinden. Also alles, was offene Quellen hergeben, was von Agenten kommt oder was die fernmeldeelektronische Aufklärung liefert, sprich das Mitschneiden von Telefonen, Handys, E-Mails oder Radarsignalen. Das wird dann alles in der Zentrale zu Lageberichten und Studien komponiert.

Wird in der Zentrale selbst auch abgehört?

Nein, das passiert weiter in Bayern. In Bad Aiblingen wird unter anderem der Fernmeldeverkehr über geostationäre Satelliten erfasst, in Gabling Telekommunikation über Richtfunkstrecken. Dass auch die Leitung der technischen Aufklärung in Pullach bleibt, dafür hat der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber lange gekämpft. Zum Unmut des BND, der nun einen wesentlichen Teil seines Beschaffungsapparats nicht an der kurzen Leine führen kann.

Jüngst geriet die US-amerikanische NSA in Verruf. Forscht der BND genauso zügellos?

Nein, da gibt es gigantische Unterschiede, allein bei Personal und Finanzen. Die NSA hat 100.000 Beschäftigte und einen Jahresetat von 80 Milliarden Euro. Der ganze BND hat einen Etat von knapp einer Milliarde und 1.500 Angestellte in der Fernmeldeaufklärung. Auch die parlamentarische Kontrolle ist eine ganz andere. In den USA ist diese völlig unzureichend. Hier muss sich der BND selbst seine Suchwortliste, nach der er E-Mails oder Handydaten durchforstet, von der G 10-Kommission des Bundestags absegnen lassen.

Kontakt zur NSA wird der Berliner BND trotzdem haben?

Die offizielle Verbindungsstelle sitzt in Bad Aibling. In der Zentrale residiert jedoch der Partnerverbindungsdienst, ein nicht zu unterschätzendes Element. Der BND bekommt einen wesentlichen Teil seiner Erkenntnisse über seine Partnerdienste, mehr als 100 weltweit. Dazu gehören auch CIA, FBI und die Defense Intelligence Agency. Diese Kooperation wird von einem Referatsleiter der Zentrale gesteuert.

Es gibt ja nicht nur Kooperation. Weniger wohlgesinnte Geheimdienste anderer Länder könnten auch Interesse an der Arbeit in der BND-Zentrale haben. Wie schützt man sich davor?

Der Bau wird auf dem neuesten Stand der Technik abgeschottet sein. Jedes Büro wird gegen kompromittierende Abstrahlungen gesichert sein. Das heißt, dass Sie sich nicht mit entsprechender Technik in einem VW-Bus vors Gebäude stellen und mitschneiden können, was drinnen in die Tastatur eingegeben wird. Auch der Fernmeldeverkehr in und aus der Zentrale wird hochgradig verschlüsselt sein, mit dem Besten, was die Informationstechnik zu bieten hat. Die eigentliche Gefahr ist aber eine andere.

Und zwar?

Dass es natürlich möglich sein wird, die Mitarbeiter dem Gesicht nach auszuspähen, also wenn sie zur Arbeit kommen. Gegnerische Observationstrupps könnten sich nach Dienstschluss an die Mitarbeiter hängen, um zu sehen, wo diese wohnen und was deren klare Identität ist. Durch die Zentralisierung in Berlin schafft man sich also auch ein weit größeres Sicherheitsrisiko.

Vor zwei Jahren entwendeten Unbekannte Baupläne für die Zentrale. Wie brisant ist das?

Das war schon relativ brisant. Nach dem, was Medien berichteten, gab es darin tiefe Einblicke in Gebäudestrukturen und Sicherheitsvorkehrungen, etwa zu Notausgängen, Schleusen oder Positionen von Alarmanlagen. Aber ich gehe mal davon aus, dass alles umgebaut wurde, sodass kein Sicherheitsrisiko bleibt.

Der BND bestreitet Umbauten und nannte die Pläne belanglos.

Das würde ich auch behaupten. Es ist aber nicht ganz abwegig, dass der enorm gestiegene Baupreis für die Zentrale auch mit nötigen Umbauten zu tun hat.

Ein Risiko sind auch plaudernde Mitarbeiter. Wie verschwiegen müssen die sein?

Das ist gegenüber den 70er und 80er Jahren deutlich lockerer geworden. Heute darf man auch in der Familie und im Bekanntenkreis erzählen, welchem Beruf man nachgeht. Da muss man nicht mehr sagen, ich bin bei der Bundesvermögensverwaltung, auch wenn das immer noch das offizielle Cover ist. Es muss auch nicht mehr jeder einen Decknamen tragen. Über den Kernbereich ihrer Arbeit dürfen die Mitarbeiter aber weiter nicht das Geringste sagen, auch nicht in der Familie. Das gilt bis mindestens fünf Jahre nach Dienstende.

Und wenn doch einer plaudert?

Je nach Schwere erwartet ihn ein Disziplinar- und Gerichtsverfahren, das ihn Job und Pension kosten kann. Bevor aber überhaupt jemand eingestellt wird, gibt es eine stramme Sicherheitsüberprüfung. Je höher die Person geheimermächtigt ist, desto stärker sind natürlich die Kontrollen.

Der Anspruch des Neubaus soll mehr Offenheit sein. Sogar ein Besucherzentrum wird es geben. Ist Transparenz für einen Geheimdienst überhaupt möglich?

Den Kernbereich des Geheimen wird man weiter mit aller Macht schützen. Das Besucherzentrum ist reine PR, die eine neue Offenheit vorspiegeln soll. Die gibt es intern tatsächlich, wie ich ja gerade ausgeführt habe. Aber nicht für die Besucher.

Was werden die Anwohner denn von den Geheimdiensttätigkeiten mitbekommen?

Nicht das Geringste. Das wäre ja ein Desaster für den BND, wenn auf offener Straße besprochen würde, was eigentlich nur im Verschlusssacheraum diskutiert werden darf!

Also keine Schlapphüte in umliegenden Kneipen und Spätis?

Nein. Es gab in München immer wieder mal Fälle, dass sich BND-Mitarbeiter in Kneipen stark angeheitert als Angehörige der Behörde zu erkennen gaben. Aber das sind alkoholbedingte Ausnahmen. Was aber durchaus sein könnte: dass, wenn neue Wohnungen in direkter Nähe vermietet werden, die Sicherheitsabteilung des BND ein Auge darauf hat, wer dort einzieht.

Und zwar wie?

Sie wird zum Beispiel durch die Amtshilfe des Einwohnermeldeamts überprüfen, ob es bei den Neumietern einen Nachrichtendiensthintergrund gibt. Auch dürften sie ein Auge darauf haben, ob etwa aus Fenstern heraus Fotos vom Eingangsbereich der Zentrale gemacht werden.

Letzte Frage: Meinen Sie, der BND wird von diesem Gespräch etwas vor Abdruck erfahren?

Diese Zeiten sind vorbei.