jugend liest
: Neue Bücher von Kirsten Boie, der Trägerin des Evangelischen Buchpreises 2006, und Mikael Engström

Jedes Jahr im Mai wird der Evangelische Buchpreis verliehen, jedes zweite Mal an einen Kinder- und Jugendbuchautor – kein großes Feuilletonereignis, eher eines fürs protestantische Insiderpublikum. Grundsätzlich hat sich daran wenig geändert, aber die Umstände sind andere geworden. Nicht weil die viel besungene Rückkehr des Religiösen nun auch das Kinderbuch erreicht hätte – sie hat sie nur sehr begrenzt, indem die Nischen etwas größer geworden sind. Aber die Zeiten, in denen man verächtlich von Gutmenschen sprach, sind vorbei. Stattdessen: Werte und noch mal Werte, als hätte man eine völlig neue, überraschende Entdeckung gemacht. Wer sich mit Kinder- und Jugendbüchern beschäftigt, kann sich da nur die Augen reiben. Um Werte ging es hier immer: um das Soziale, um das Gerechte und darum, dass schon Kinder sich entscheiden müssen, auf welche Seite sie sich schlagen, wobei sie kräftig ins Schlingern geraten können. Neu ist lediglich, dass ein Außenseiter wie der Evangelische Buchpreis nicht mehr belächelt wird, weil er – als einziger seiner Art – einen Autor ausdrücklich ehrt für seine Haltung und für die Werte, die seine Bücher vermitteln.

Kirsten Boie, die den Preis Ende Mai für ihren Fantasy-Krimi „Die Medlevinger“ erhält, erzählt seit zwanzig Jahren immer wieder auch von Kindern, die Helden sind: weil sie einsame Außenseiter sind und es trotzdem schaffen, einen Freund zu finden; weil sie verwahrlosen und trotzdem nicht kriminell werden; weil ihre Eltern sich trennen und sie in ihrem Hass trotzdem wieder Frieden mit ihnen schließen. Moralisch? Das auch. Noch öfter: komisch, ironisch, spannend. In ihrem neuen Roman „Skogland“ ist sie nun sogar politisch: Da muss eine Prinzessin sich entscheiden, ob sie sich auf die Seite der Rebellen schlägt und sich gegen den machthungrigen König stellt.

Während Boie Fantasy und Wirklichkeit oft geschickt vermischt, ist der Schwede Mikael Engström ein Meister des realistischen Romans. Vor drei Jahren landete er mit „Brando“ seinen ersten Volltreffer. Engströms neuer Held heißt Steppo und lebt mit seiner depressiven Mutter im dreizehnten Stock eines Hauses, das ein bürgerlicheres Publikum selbst bei Tag nur ungern betreten würde, weil es Angst hätte vor den Kindern und Jugendlichen. Dealer, Nazis, Kleinkriminelle, um die 14, 15 Jahre alt. Steppo gehört nicht zu den harten Typen, im Gegenteil, er ist zu weich für die Gegend. Er traut sich nicht, Nein zu sagen. Und so wird er immer tiefer hineingezogen in einen Sumpf, in dem er schließlich zu versinken droht.

Steppo macht viele Fehler, die ihn ins Gefängnis hätten bringen können. Trotzdem gibt es für Steppo eine Grenze von Gewalt und Niedertracht, die er nicht überschreitet, koste es, was es wolle. Rauschgift an Schulkinder? Da bricht er lieber in sämtliche Keller des Viertels ein, um seine Schulden zu begleichen. Auch nicht gerade die feine Art, aber irgendwie doch harmlos. Auch beim Mobbing kommt er an den Punkt, an dem sich bei ihm Mitleid mit dem Opfer regt und noch mehr: Er sieht nicht nur ein Opfer, sondern einen Menschen in all seinen Widersprüchen.

„Steppo“ ist ein klassischer Entwicklungsroman, an dessen Ende der Held nach vielen Prüfungen geläutert ist. Früher hätte man gesagt: „pädagogisch wertvoll“. Heute spricht man von einem klasse Krimi. Denn wie in der Erwachsenenliteratur, so sind auch im Jugendbuch im Krimi sehr genaue Sozialstudien zu finden. Engström könnte nicht nur für Jugendliche, sondern auch für jene, die sich gerade über Problemschulen in Berlin und anderswo den Kopf zerbrechen, interessant sein. ANGELIKA OHLAND

Mikael Engström: „Steppo. Voll die Krise“. Aus dem Schwedischen von Birgitta Kicherer. Carl Hanser Verlag, München, 282 Seiten, 13,90 Euro Die Bücher von Kirsten Boie sind im Verlag Friedrich Oetinger, Hamburg, erschienen. Zuletzt „Skogland“, 384 Seiten, 14,90 Euro