berliner szenen Stress im Park

Verdächtig rennen

Vizeweltmeister bin ich schon, Weltmeister will ich dieses Jahr noch werden. Da bleibt mir in meinem Zustand leider keine andere Wahl, als mich zur Vorbereitung einer äußerst verhassten Tätigkeit zu widmen: dem Laufen im Park.

Die Hasenheide ist nach einer kurzen Phase der Agonie gut gefüllt. Der erste Schock hat sich gelegt, und auch wenn er noch dem einen oder anderen in den Gliedern sitzen mag, so versuchen doch die meisten, wieder ihre ganz normalen Tätigkeiten aufzunehmen. Doch sie sind vorsichtiger geworden, denn wie gefährlich ihre Arbeit ist, wurde ihnen dieser Tage einmal mehr deutlich vor Augen geführt.

Die Dealer sind verwirrt. Wenn ich vorbeitrabe, stellen sie sich mir erst in den Weg und entschuldigen sich dann – früher war's umgekehrt. Ich sage nichts dazu, mangels Puste nicke ich nur verständnisvoll: Sie haben es gerade wirklich nicht leicht.

Alle zehn Minuten kurvt eine Wanne um die Ecke, dann kommt Bewegung in die Gesellschaft – links hopsen die Afrikaner ins Gebüsch und rechts die Araber. Sie stehen unter Stress, und Stress bedeutet Gefahr für Nerven, Herz und Seele.

Mir dagegen schafft die Situation Erholung – ich unterbreche meinen Lauf und schlendere langsam weiter, bis die Wanne wieder außer Sichtweite ist. „Wer rennt, macht sich verdächtig“ – so stand es nicht nur in der taz: für mich die willkommene Lizenz zum Trödeln. Andere Jogger verhalten sich weniger umsichtig und laufen einfach weiter. Anscheinend ist ihnen ihre Freiheit ein gering geschätztes Gut – bestimmt alles Raubkopierer.

Die Polizei ist weg. Die Dealer atmen auf und klopfen sich die Ästchen von den Arbeitshosen. Ich seufze schwer und laufe.

ULI HANNEMANN