Verlegt in Berlin

Die Stadt hat sich mit Nischen- und Wissenschaftsverlagen als zweitwichtigste Verlagsstadt Deutschlands etabliert. Bei Belletristik sieht es mau aus, obwohl in Berlin viele Schriftsteller leben

Von Nina Apin

Berlin hat sich in den vergangenen Jahren als bedeutender Verlagsstandort etabliert. Nach München gilt Berlin inzwischen als zweitwichtigste Stadt für Verleger. Etwas mehr als 400 Buchverlage gibt es in der Stadt. Sie beschäftigen etwa 4.100 Mitarbeiter – Tendenz steigend.

„Berlin ist auf dem Weg, wieder an seine alte Bedeutung als Verlagsstadt anzuknüpfen“, sagt Detlef Bluhm, Geschäftsführer des Landesverbands Berlin-Brandenburg des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Doch von Zuständen wie in den 1920ern, als Berlin die führende Verlagsstadt Deutschlands war, ist man heute weit entfernt. Der Aufstieg ist langsam, zu groß sind die Wunden, die die jahrzehntelange Isolation hinter der Mauer in die Verlagslandschaft geschlagen hat. „Es gibt kaum große belletristische und Sachverlage in Berlin“, sagt Bluhm. „Die umsatzstarken Großverlage wie Random House und Holtzbrinck sitzen woanders.“ Die einzigen großen Verlage in der Stadt sind Aufbau und Ullstein, der 2003 aus München an seinen Gründungsort zurückkehrte. Dass Berlin vor allem Sitz kleiner und mittlerer Verlage ist, merkt man an den Umsatzzahlen: Die Umsatzsteigerung der Hauptstadtverlage von 2,5 Prozent zwischen 2001 und 2005 ist sehr bescheiden.

Grund zum Optimismus gibt vor allem die Anzahl der jährlichen Neuerscheinungen. Dabei hat Berlin gewaltig aufgeholt. Über 6.000 Bücher erschienen 2005 hier, damit liegt die Stadt hinter München auf Platz zwei und überholt Stuttgart und Frankfurt.

Den größten Anteil an der Bücherflut haben die Schulbuch- und Wissenschaftsverlage. Auf diesem Sektor ist Berlin die unangefochtene Verlagshauptstadt. Alle wichtigen Namen haben hier ihren Sitz, von großen Häusern wie Springer Science Business and Media und Cornelsen bis zu fachlich spezialisierten Verlagen wie Walter de Gruyter und Duncker & Humblodt.

Zudem ist Berlin traditionell eine Hochburg kleiner Nischenverlage. Oft entstanden diese programmatisch hochspezialisierten Kleinst- und Kleinunternehmen im Umfeld der Studentenbewegung. Viele von ihnen, wie der 1964 gegründete linke Verlag Klaus Wagenbach, haben sich auf dem Markt gehalten und ihr Profil erfolgreich der Verlagslandschaft angepasst. Auch der 1970 als sozialistisches Kollektiv gegründete Merve Verlag setzt noch heute Maßstäbe mit seinen Bänden zu zeitgenössischer Philosophie und Kunstgeschichte.

In den vergangenen Jahren erlebte Berlin eine zweite Renaissance von Nischenverlagen. Niedrige Mieten und eine vitale Kulturszene locken insbesondere junge Verleger an. „Berlin ist ein Experimentierfeld der Moderne“, sagt Detlef Bluhm. Kleinstunternehmen mit extrem spezialisierten Nischenprodukten wie der von zwei Journalisten gegründete Verbrecher Verlag gedeihen in diesem Umfeld prima. Die wachsende Independent-Szene prägt das Image der jungen, hippen Verlagsstadt ganz wesentlich.

Für Tom Kraushaar vom Tropen Verlag, der vergangenes Jahr seinen Sitz von Köln nach Berlin verlagert hat, war neben billigen Wohn- und Geschäftsräumen vor allem die Nähe zu Autoren und der politischen Szene wichtig. „In Berlin leben die meisten Schriftstellerinnen und Schriftsteller des Landes“, sagt er. „Außerdem konzentrieren sich hier Politik und Medien. Es gibt für Verlage eigentlich keinen besseren Ort.“ Der Autoren wegen hat auch die junge Verlegerin Daniela Seel Berlin zum zweiten Standort ihres Verlags Kookbooks gemacht. Die meisten der jungen Lyriker, die sie verlegt, lernte sie während ihres Studiums in Berlin kennen. Trotzdem will Seel ihren Standort im Taunus behalten. Der Berlin-Hype ist ihr verdächtig. „Das vielfältige Kulturangebot ist nett, wird aber überbewertet“, meint sie. „Ich will mich auf meine verlegerische Arbeit konzentrieren. Und die ist im Grunde ortsunabhängig.“

Abseits der Berlin-Euphorie liegen weniger „junge“ Neugründungen wie der Heinrich von Berenberg Verlag. Der gleichnamige Verleger ist 55 Jahre alt und eher an bürgerlichen Werten als an Popkultur interessiert. In Berlin findet er eine Nische für seine hochwertig gestalteten Biografien, Essays und Romane: „Berlin hat urbane Lebenskultur“, sagt von Berenberg, „nur hier finde ich genug von meinem speziellen Publikum.“ Detlef Bluhm vom Börsenverein glaubt indes weiterhin an einen langsamen, aber sicheren Aufschwung: „In 35 Jahren wird Berlin wieder die Nummer eins sein.“