Sanitäter selbst bezahlen

ATOMKRAFT Die Gemeinde Biblis will das Demonstrationsrecht durch ungewöhnliche Kostenauflagen für die Veranstalter aushöhlen

„Es kann nicht sein, dass die Ausübung des Versammlungsrechts vom Geldbeutel abhängt“

RECHTSANWALT THOMAS KIESERITZKY

In Biblis wollen die Behörden die Anti-Atom-Bewegung mit einer neuen Idee ausbremsen: Vor der morgigen Aktion der Kraftwerksumzingelung haben die Gemeinde Biblis und das Landratsamt Bergstraße den Veranstaltern die Auflage erteilt, die Kosten für den Sanitätsdienst in Höhe mehrerer tausend Euro zu bezahlen. Die Veranstalter reagieren empört: Eine solche Kostenauflage sei „ein Novum in der über 60-jährigen demokratischen Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“, sagt Matthias Weyland vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Seit Bestehen der Anti-AKW-Bewegung Anfang der 1970er habe es nie eine vergleichbare Auflage gegeben.

Bereits am Mittwoch hatten die Organisatoren der Demo über den Frankfurter Rechtsanwalt Thomas Kieseritzky Widerspruch bei der Gemeinde Biblis eingereicht. Zusätzlich reichten sie einen Eilantrag auf einstweilige Anordnung beim zuständigen Verwaltungsgericht in Darmstadt ein, den das Gericht gestern am Spätnachmittag aber ablehnte.

„Es kann nicht sein, dass die Ausübung des Versammlungsrechts vom Geldbeutel des Veranstalters abhängt“, sagt Rechtsanwalt Kieseritzky. In Biblis solle „ein Präzedenzfall geschaffen und das Grundrecht auf Versammlung ausgehöhlt werden“. Die Auflage der Kosten, egal in welcher Höhe, widerspreche dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Gemeinde und Landratsamt stützen sich bei ihrem Vorgehen auf eine vor vielen Jahren vom hessischen Sozialministerium herausgegebene Broschüre, die Kommunen eine solche Kostenauflage empfiehlt. „Die Broschüre ist etwa zehn Jahre alt, aber es ist das erste Mal, dass diese Empfehlung nun angewendet werden soll“, sagt Kieseritzky.

Am Ende könnte diese Schikane durch die Behörden sogar ins Gegenteil umschlagen und die Mobilisierung zur Demo sogar noch verbessern: Der Trägerkreis der Anti-Atom-Umzingelung rief die Bevölkerung gestern dazu auf, sich jetzt erst recht an den morgigen Protesten zu beteiligen.

Am Samstagnachmittag soll eine 120 Kilometer lange Menschenkette quer durch Hamburg die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel in Schleswig-Holstein verbinden. Für das Abschalten der deutschen Atommeiler wird zudem auch vor dem Atommüllzwischenlager im nordrhein-westfälischen Ahaus und eben in Biblis demonstriert. Veranstalter ist der Trägerkreis Kettenreaktion, dem 21 Initiativen und Organisatoren angehören, unter anderem Umweltschutzverbände, der Bundesverband erneuerbare Energien sowie die Oppositionsparteien im Bundestag.

Die FDP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan, in deren Wahlkreis Krümmel liegt, kritisierte das Sponsoring der Erneuerbare-Energien-Branche. „Wenn Ökostromanbieter für Sonderzüge und Busse der Demonstranten bezahlen, die gegen ihre eigenen Wettbewerber demonstrieren, sollte das hellhörig machen.“

BERNWARD JANZING