Wer mitbestimmen will, muss gehen

ARBEITSMARKT Weil sie einen Betriebsrat gründeten, wurden die Verträge von Callcentermitarbeitern nicht verlängert. Viele befristete Beschäftigte scheuen davor zurück, ihre Rechte einzufordern

„Wir waren blauäugig, konnten uns nicht vorstellen, dass man so gegen uns vorgeht“

FABIAN BECKER*, EX-BETRIEBSRAT

VON EVA VÖLPEL

Leute wie Fabian Becker* gehören zu einer seltenen Spezies. Der 32-Jährige entschloss sich trotz seines befristeten Vertrags, an seinem Arbeitsplatz mit drei Kollegen einen Betriebsrat zu gründen. „Wir hatten genug von dem Stress, das Verhältnis von Bezahlung und Anstrengung stimmte einfach nicht“, sagt Becker über seine Arbeit bei der Deutschen Business Services GmbH (DBS) in Berlin.

Die DBS ist ein Sekretariatsdienstleister. Callcentermitarbeiter nehmen dort für kleine und mittelständische Firmen als eine Art virtuelles Büro Anrufe und Bestellungen entgegen. „160 Anrufe waren es im Schnitt am Tag. Man wurde von Kunden angeschrien und beschimpft, musste aber immer schön ruhig bleiben“, erzählt Becker. 6,50 Euro Nettostundenlohn zahlte man ihm. Callcentermitarbeiter, so haben Studien herausgefunden, leiden besonders häufig unter stressbedingter Erschöpfung oder Depressionen.

Als Becker und seine drei Kollegen mit dem Betriebsrat Ernst machten, folgte prompt die Quittung. „Drei von uns wurden von der Geschäftsführung in Gesprächen massiv unter Druck gesetzt oder von Supervisoren zusammengestaucht“, erzählt Becker. Und: Alle vier bekamen ihre befristeten Verträge nicht verlängert. Obwohl ihre Arbeitsergebnisse gut waren. Für ihn ist der Rausschmiss eine Folge der Betriebsratsgründung.

Die DBS sieht das anders. Über eine Anwältin teilt das Unternehmen mit, die Beschäftigten seien „ganz sicher nicht unter Druck gesetzt worden“. Zwischen der nicht erfolgten Vertragsverlängerung und dem Engagement im Betriebsrat „besteht keinerlei Zusammenhang“.

Becker sagt heute: „Wir waren blauäugig, konnten uns nicht vorstellen, dass man so gegen uns vorgeht.“ Es überrascht nicht, dass manche Betriebe es nicht gerne sehen, wenn ihre Beschäftigten Mitbestimmungsgremien gründen. Ungewöhnlich ist vielmehr, dass Arbeitnehmer, die um ihre Vertragsverlängerung bangen müssen, sich zu diesem Schritt entschließen.

Mittlerweile erfolgt fast jede zweite Neueinstellung nur noch befristet. Arbeitspsychologen kritisieren, dass dadurch die Lebens- und Familienplanung besonders junger Menschen behindert wird. Es braucht nicht viel, sich vorzustellen, dass deswegen auch immer weniger Arbeitnehmer im Betrieb ihre Rechte einfordern.

Über den Zusammenhang von befristeter Beschäftigung und der Bereitschaft, Betriebsräte zu gründen, gibt es bisher keine quantitative Untersuchung. Doch das Phänomen hat auch Heiner Dribbusch von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung beobachtet. „Arbeitnehmer ohne feste Verträge zögern eher, in eine Gewerkschaft einzutreten“, sagt er. Dabei müssten doch gerade atypisch Beschäftigte Interesse an den Schutzfunktionen einer Gewerkschaft – oder eben eines Betriebsrats – haben. Aber das Gegenteil ist der Fall. „Die Leute halten still und hoffen auf den unbefristeten Vertrag“, erklärt Dribbusch.

Becker hat in seiner kurzen Zeit als Arbeitnehmervertreter im Betriebsverfassungsgesetz gelesen. „Da sollte ein besonderer Schutz für befristet angestellte Betriebsräte reingeschrieben werden“, findet er. „Zum Beispiel eine Entfristung, wenn man in den Betriebsrat gewählt wurde.“ Aber das müsste die Politik veranlassen. „Dafür gibt es wohl wenig Chancen.“

*Name geändert