: Betr.: Die Frohe Botschaft. Gute Nachrichten ueber Deutschland
ICH FÜHLE MICH GUT IN DEUTSCHLAND, weil ich acht Monate im Jahr unterwegs bin. Von Haarlem aus betrachtet, ist Eisbein mit Sauerkraut eine Delikatesse, von Reykjavík finde ich Literaten, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sehr unterhaltsam, in Tel Aviv sehne ich mich nach bezopften Blondinen und in Krakau fehlt mir nur die taz zum totalen Glück. Und wenn ich in Berlin bin, kaufe ich bei ALDI ein, entsorge meine Zeitungen in der Bio-Tonne und schaue CNN und Al Jazeera. Ich verstehe nicht, wie sich jemand in Deutschland unwohl fühlen kann. HENRYK M. BRODER
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IN KIEL BIN ICH ZU HAUSE. Wieso eigentlich? Ich sage es jedem, der es wissen will, dass ich mich in der Discount-Diaspora wohl fühle, nein, falsch, dass ich hier leben kann, ohne allzu großen Verschleiß. Ich schrieb mich im Wintersemester 1984 für Medizin ein, und man brachte mich in einem Studentenwohnheim am Arsch der Welt unter. Ich konnte froh sein, ich wollte weg, ich konnte nicht. Immer wieder fuhr ich nach Berlin, trieb mich herum, hockte in Cafés und trank Kaffee. Was ich sah, kannte ich aus Kiel: Der Teich trocknet von den Rändern aus, wir Kieler (vielleicht auch die Krefelder) sahen es kommen. Was genau? Die Schwemme der Proletenkinder, die Angst des Metzgers vor der Pleite, den Riesenaufwand, der betrieben wird, um den Leuten zu sagen, dass sie unbrauchbares Zeug sind. Aber zurück zu Kiel: Es ist meine Stadt. Die Menschen, denen meine Nase nicht gefällt, nennen mich den Kieler Provinzpoeten. Genau. Ich wohne am Südfriedhof, der Bahnhof ist in Spucknähe, und in meiner Küche schreibe ich meine Bücher. Man muss nur ein bisschen schielen, und es wird wahr: Wenn man auf der Fußgängerzone unterwegs ist – das ist die Strecke zwischen Karstadt und Hertie –, kommt einem ein Dampfer entgegen. Das Meer bindet an die Stadt. In Kiel fliegt man schnell aus der Kurve. In Kiel leben viele gute Menschen, die Brot und Wasser reichen, so man will. Die Stadt ist bekannt für ihre schönen Frauen, und die Dänen fallen deshalb hier ein. Wer in Kiel überlebt, hat den Härtetest bestanden. Nur die Krefelder sind so hart wie wir. FERIDUN ZAIMOGLU
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KREUZ MIT DEUTSCHLAND? Nix Deutschland – Kreuz mit Deutsch! Gestern noch ruhte unser aller Vertrauen auf sie. Ja, das war das Sicherheitskonferenz-06-Teltschik, das ruhte, das vom Kohl-Kaukasier-Horst! Denn eben ruhte noch sein unser aller Blick. Ja, wessen auf wem bloß! Ja, also das war inmitten der Rumsfelder und Atomperser mitten im 06-München, Armseel, du! Ach, du lieber Akkusativ, Akkusativ, Akkusativ! Ein Satzbaugrundstück frisst dir das andere aus dem Satz weg. Warum quält ihr mich, Deutsche! Warum sprecht ihr mich nicht mehr! Ach, wann wirst du, Deutsch, endlich Türke! Ach, wann, ihr Integrierten, ihr meine Kreuzl! Ach alter Balljunge mein, du Stoiber, dein Deutsch mein, alles ist hin. THOMAS HARLAN
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KEINER MAG DEUTSCHLAND, das ist ungerecht, denn selbst eine Kakerlake, der Winter, der Schnupfen verdienen es geliebt zu werden, denn was nicht geliebt wird, wird böse und kommt in die Anstalt. Warum also nicht dieses Land lieben, seine Bevölkerung und die deutsche Sprache? Die ist schön, es gibt Worte wie: Schmutzfangmattenreinigungsdienst und Rückversicherungsgesellschaftshaus. Kein Mensch außer einem Deutschen, und auch der nicht immer, kann diese Sprache erlernen und so gewandt einsetzten wie neulich eine Kandidatin in einer Singel-Show. „Im Sommer gehe ich am liebsten baden, am liebsten in öffentliche Gewässer.“ Das ist so charmant, wie der Deutsche eben ist, den man in aller Welt nicht mag, aber wegen seiner Prinzipien schätzt, die sind: nie höflich, nie bescheiden, nie leise zu sein. Das macht berechenbar, macht keine bösen Überraschungen, damit lässt sich’s wohl leben. So wie der Mensch auch das Land, das zu 90 Prozent aus flach besteht, aus Produktivstätten, begradigten Flüssen und quadratischen Häusern. Auf hyperkultivierten Rasenflächen stehen effektive Tiere und tun ihren Job. Das deutsche Tier spricht keine Fremdsprachen und ist zum Kuscheln ungeeignet.
Möchte man sich die Augen öffnen lassen, von allem Schmus befreien, von Lügen, ist Deutschland ein guter Ort. Geradlinig, laut und freudlos ist es und man weiß endlich wieder, worum es geht im Leben. Um Härte, die nur zum Besten des Menschen ist. Schön an Deutschland ist der japanische Haus-Lieferservice und die billige Asiatische Instantsuppe, schön auch einige Menschen, die sehr nett und kultiviert sind, die aber alle da wegziehen, damit Deutschland seiner neuen Aufgabe zur Verfügung gestellt werden kann. Mit Ausnahme der landschaftlich hübschen Gegenden (Bayern, Schwarzwald) wird das Land demnächst zuerst mit einem himmlischen Riesenbagger ausgehoben, ein göttliches Gesäß wird erscheinen und die Grube mit Beton auskoten, danach wird alles gewässert und der größte und schönste Swimmingpool der Welt ist fertig. Und darum habe ich dieses Land lieb, denn über den ganzen Mist drüberwegschwimmen ist wirklich eine feine Sache. SIBYLLE BERG
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ICH LEBE JA NICHT IN DEUTSCHLAND, SONDERN IN FRANKREICH. Und ich lebe auch eigentlich nicht in Frankreich, sondern in Paris und einem kleinen Dorf im Süden. Ebenso habe ich vorher nicht in Deutschland gelebt, sondern als Kind in Frankfurt und im Odenwald und später in Berlin. Länder und Völker bedeuten mir im Alltag sehr wenig, Städte oder Landschaften schon viel mehr, aber was wirklich zählt, ist meine Wohnung und der Bäcker an der Ecke. Nur einmal bin ich wegen dem ganzen Land aus einem Land weggegangen, und das war nach der Wiedervereinigung 1990 aus Deutschland. Da gab’s auf einmal tatsächlich fast ein ganzes Volk, das geglaubt hat, es sei ein Volk und der Mittelpunkt der Welt. Das war für mich alles zu hysterisch und beängstigend. Dreimal habe ich in der Zeit einen Freund mit schwarzer Hautfarbe nach Potsdam begleitet, weil er da was arbeiten musste und nicht alleine in den Osten fahren wollte, bis ich nach dem dritten Mal zu ihm und zu mir gesagt habe: „So, jetzt reicht’s!“ Abgesehen davon, dass ich das Gefühl hatte, ich bekomme vom Rest der Welt kaum mehr was mit, nur noch, was in Magdeburg los ist. Doch ansonsten gilt für mich: Neulich saß ich mit meiner Frau in Fort Lauderdale auf einem alten, knarrenden Holzpier am Meer und wir aßen tolle Fischsandwiches, während über uns Pelikane flogen, und ich dachte, „Ach, hier könnte man auch mal eine Weile leben.“ Wer Fort Lauderdale kennt, kann vielleicht nachvollziehen, wie sehr mich mein Gedanke überrascht hat. Ernsthaft war er trotzdem. JAKOB ARJOUNI
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WARUM ICH IN WIEN WOHNE: Es ist lange her – ich saß im Caffe del Moro in Palermo (wo man, wie man sagt, den besten Espresso der Welt bekommt!) –, als mich eine Wahrsagerin um Geld anhaute und anbot, mir die Zukunft zu weissagen. Ich gab ihr genug für einen klaren Blick. Die Linien meiner Handflächen interessierten sie nicht. Sie nahm mir die Sonnenbrille von der Nase (sie ließ sie, wie ich zu spät bemerkte, gleich mitgehen!), schaute mir in die Augen und redete dazu.
Da ich Italienisch weder spreche noch verstehe, hielt ich ihr einen Zettel samt Bleistift hin und machte ihr Zeichen, sie solle mir etwas aufzuschreiben, was ich mir dann würde übersetzen lassen können; ich hatte ohnehin am Abend eine Verabredung mit einem Freund, der in Palermo lebte. Aber sie konnte nicht schreiben; und so erfuhr ich etwas über meine Zukunft erst sechs Stunden später, als die nämliche Wahrsagerin ihre Runde in einer Straße drehte, wo ich mit meinem Freund saß und wir eine Pizza verzehrten. Natürlich erinnerte sie sich nicht an mich, aber ich gab ihr jetzt, wo ich einen Dolmetscher dabeihatte, wieder Geld. Aufgepasst, ermahnte ich ihn. Und so erfuhr ich, dass ich mich nach Wien aufmachen müsse, wo eine große Zukunft auf mich warte. WOLF WONDRATSCHEK
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WARUM ICH IN DEUTSCHLAND LEBE: 1. Weil jeder einzelne Deutsche in seinem kleinen Finger so viel Humor hat wie alle Abu-Ghraib-Aufseher zusammen. 2. Weil der größte lebende Satiriker auf der Welt Wiglaf Droste ist. 3. Weil Deutsche hitzige Diskussionen lieben und weil sie süchtig danach sind, grundlegend unterschiedliche Meinungen miteinander auszutauschen, ohne hinterher beleidigt zu sein. 4. Weil es hier kein Holocaustdenkmal gibt. 5. Weil ich als Zehnjähriger meine Eltern angefleht habe, vor den Kommunisten aus Prag bloß nicht nach Israel oder New York zu fliehen, sondern unbedingt nach Hamburg, wo Deutschland besonders deutsch und easy ist. 6. Weil ich es in Israel oder New York zu einfach gehabt hätte, schnell, scharf und erfolgreich zu sein. 7. Weil mich niemand so gut versteht wie deutsche Frauen. 8. Weil ich es super finde, ständig meinen deutschen Mitbürgern erklären zu dürfen, warum alle Menschen die gleichen Rechte haben sollten, ohne gleich sein zu müssen. 9. Weil ich in Deutschland jeden Tag darüber nachdenken kann, in welchem anderen Land ich lieber leben würde. 10. Weil Wiglaf Droste nicht nur der größte lebende Satiriker auf der Welt ist, sondern auch ein extrem attraktiver Mann. MAXIM BILLER
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