Neulich in Hermsdorf
: Niederlagen machen weise

Wochenende! Das bedeutet früh aufstehen. Mein Sohn hat wieder ein Fußballspiel. Treffpunkt ist um 8.15 Uhr irgendwo in Hermsdorf. Draußen nieselt es leicht. Dafür ist es bereits hell. Ich sitze schweigend hinter dem Steuer. Hinten auf dem Rücksitz ballt mein Sohn beide Hände zur Faust. „Ja!“, ruft er immer wieder aus und ein kurzer Blick in sein glückliches Gesicht sagt mir, dass er auch diese Hinfahrt wieder in der völligen Gewissheit eines sich anschließenden sportlichen Triumphes verlebt.

Leider gibt es in Hermsdorf viele lange Straßen ähnlichen oder gleichen Namens, dennoch finden wir den Platz nur leicht verspätet, und während sich mein Sohn jetzt warm läuft, geselle ich mich zu den anderen Eltern unserer Mannschaft. Frierend und grau und angesichts des Gegners voller Vorahnungen, stehen wir in dem matschigen Bereich um das Spielfeld herum und schützen unsere Zigaretten mit der flachen Hand vor dem stärker aufkommenden Regen.

Das Spiel selbst ist schnell beschrieben. Nach zwei Minuten bereits der erste Dämpfer. Nach sieben Minuten liegt unsere Mannschaft schon schwer zurück. Dann keimt Mitte der zweiten Halbzeit doch noch einmal die Hoffnung auf, dass das Ganze nicht zweistellig ausgeht, aber auch von dieser Hoffnung bleibt nur, was sie ist.

Trotzdem verlassen unsere Jungs tapfer und nur darüber entrüstet, was für unglaubliche Fehlleistungen dem Schiedsrichter heute wieder unterlaufen sind, den Platz.

Erst im Auto sammeln sich die ersten dicken Tränen in seinen Augen. „Fußball“, sagt er, „ist ein Spiel, in dem die bessere Mannschaft immer verliert.“ Dann legt er den Kopf in die Hände, und da er ihn wieder hebt, wundere ich mich kurz, dass er mit seinen neun Jahren einen Bart trägt, der so lang ist, dass er sich erst in seinem Schoß verliert, aber Niederlagen, so sage ich mir, machen weise. „Vater“, sagt er, „lasse mir heute meinen Willen. Wende bitte, denn ich will danken.“

Weil er mein Sohn ist, gehorche ich ihm und wende den Wagen. Diesmal finden wir den Platz sofort, und während ich am Rand hin und her laufe, schreitet er über den Rasen und lässt sich, um ihn zu küssen, mal hier, mal dort auf die Knie nieder. Dann bittet er mich, ihm die Autoschlüssel auszuhändigen, weist mich auf die Rückbank und fährt mit quietschenden Reifen der Sonne entgegen.

JAN PETER BREMER

Fotohinweis: JAN PETER BREMER wurde 1965 in Berlin geboren. Bachmann-Preis 1996 für „Der Fürst spricht“. Im Frühjahr erschien im Berlin Verlag „Still Leben“.