Das Kreuz ist ein Kreis

Von der schweren Last, ein deutscher Jugo zu sein, oder warum mich die Deutschen bis in den Schlaf verfolgen. Der Schriftsteller Zoran Drvenkar blickt auf seine Sozialisation auf Deutschlands Fußballplätzen zurück

BERLIN taz ■ Vor gar nicht allzu langer Zeit wurde ein Junge im damaligen Jugoslawien geboren und hatte keine Ahnung davon, dass er mit drei Jahren nach Berlin ziehen würde. Auch wusste niemand aus der Familie, dass sich dieser Junge zwanzig Jahre später in einen Deutschen verwandeln und mit Ende dreißig etwas über das Kreuz mit den Deutschen schreiben würde.

Der Junge, der zum Mann wurde, das bin ich. Und Tatsache ist, es gibt keinen besseren als mich, um diesen Artikel zu schreiben. Das Kreuz mit den Deutschen beschäftigt mich, seitdem ich nach Berlin gezogen bin. Mein Kopf arbeitet nur auf dieser einen Spur.

Was ist das Kreuz mit den Deutschen? Schon als Kind fragte ich mich, was so besonders an den Deutschen ist. Sie sehen anders aus, war eine zu simple Antwort. Nein, da war ein Zauber. Ich sah Paul Breitner und dachte, das ist einer, dem macht niemand was vor. Ich sah Sepp Maier und dachte, wenn der mich auf den Arm nimmt, bin ich sicher. Wann immer ich mit den Jungs Fußball spielte, wurden wir zu diesen Männern. Ritter des Leders. Helden der Dreierangel.

Ist das das Kreuz mit den Deutschen?, fragte ich mich. Sind sie alle Helden? Dann wurde ich älter und zu einer Niete auf dem Feld, und die Helden waren keine Helden mehr für mich. Ich wollte beim Fußball elegant und schnell sein, ich wollte tricksen und kam immer öfter auf die Auswechselbank.

Körpereinsatz wurde verlangt, Schluss mit den Spielereien. Zoran war nicht hart genug für den Verein und wunderte sich: Ist das vielleicht das Kreuz mit den Deutschen? Sind sie zu hart? Mein Trainer war klein, schnell und hatte mehr Körpereinsatz als ein betrunkener Gorilla. Ich fragte ihn nach dem Kreuz mit den Deutschen. Er gab mir dafür eine Kopfnuss. „Kreuz an meinem Arsch“, sagte er. „Sieh dir die anderen an, ist doch überall das Gleiche.“

Ich sah mir die anderen Länder an und begriff, mein Trainer hatte Recht. Das Kreuz mit den Deutschen ist das Kreuz mit den Jugos ist das Kreuz mit den Italienern und das mit den Spaniern und den Rumänen und, und, und. Alle schleppen dasselbe Kreuz. Es ist das Kreuz des Ehrgeizes. Es ist das Scheinwerferlicht, das immer auf die falsche Stelle scheint. Als ich in der B-Mannschaft spielte und Berlin von einem grausamen Winter überrollt wurde, schmuggelte mein Vater immer einen Schuss Rum in die Thermoskannen, damit die Fans was zum Aufwärmen hatten und schon bald zufrieden beschickert in der Gegend herumstanden. Auch wir Spieler hatten dabei eine Menge Spaß. Einmal torkelte ich bei einem Eckball angetrunken zu meinem Vater und fragte ihn, was das Kreuz mit den Deutschen sei. „Das Kreuz ist ein Kreis, mein Junge, und im Kreis stehen die Fans. Ohne die Fans würde es keinen Sport geben.“

Ich setzte mich benommen auf den Rasen. Mein Vater hatte Recht. Ohne die Fans geht gar nichts. Ob Fußball oder Basketball, ob Stabhochsprung oder 100-Meter-Lauf. Die Identifikation kommt aus dem Herzen. Mein Land, denkt der Fan, und noch einmal: MEIN LAND! Als könnte jeder einzelne Fan die Flanke perfekt anschneiden, den Ball durch die Beine dribbeln oder beim Sprung die Gazelle machen. Die eigene Unfähigkeit und Faulheit wird dabei perfektioniert. Sie wollen nicht mit Muskelkrämpfen auf der Trage landen. Und wenn ihre Mannschaft verliert, trauern sie. Und wenn sie gewinnt, dann sind auch sie für eine Weile die Sieger und sind verdammt stolz.

Ist das das Kreuz mit den Deutschen?, fragte ich mich. Stolz sein ohne Grund? Vielleicht ist das so. Vielleicht aber sind die Deutschen in Wahrheit echte Fans ihres eigenen Landes, und weil das politisch unkorrekt scheint und sie es nicht laut zugeben wollen, sind sie eben Fans von Fernsehstars, die jemanden darstellen, der sie nicht sind; Fans von Fußballern, die Helden sind, weil es keine Helden mehr gibt.

Ich glaube, es ist offensichtlich: Das Kreuz mit den Deutschen wird mich noch die nächsten vierzig Jahre mit Sicherheit auf den Zehenspitzen halten. Solange verbarrikadiere ich meine Tür vor all den Fans, knacke mit den Zehen Nüsse und lasse es mir gut gehen. Laku noc, Deutschland.

Fotohinweis: ZORAN DRVENKAR wurde 1967 in Krizevci/Kroatien geboren. Drvenkar schreibt Romane, Theaterstücke und Kurzgeschichten. 2005 Deutscher Kinder- und Jugendbuchpreis für „Die Kurzhosengang“, illustriert von Ole Könnecke.