„Sauber entkielte künftige A-Ware“

Schon vor der Vogelgrippe hat Matthias Göritz einen Roman über den Ausbruch einer Epidemie auf einer Gänsemastfarm geschrieben. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller über das Tabu der industriellen Geflügelproduktion und den Symbolwert des Vogels als Mittler zwischen Himmel und Erde

Interview:Friederike Gräff

taz: Herr Göritz, warum ist es reizvoll, ein Prosadebüt zu schreiben, das mit einer Tierpest endet?

Matthias Göritz: Mich hat die industrielle Geflügelproduktion als gesellschaftliches Tabu interessiert. Und die Epidemie als eine Form von Schicksal, das nicht sinnbezogen ist. Sondern eben ein tragischer Einbruch, etwas, woran eine Gesellschaft oder ein Wirtschaftsunternehmen zugrunde geht, ohne dass man jemandem konkret die Schuld geben kann.

Um das Wissen um die heutige Form der Nahrungsmittelerzeugung zu verdrängen, muss man sich Mühe geben.

Genau das meine ich mit Tabu: Das Verbot, es anzuschauen. Und die heutige Geflügelfarm tut alles dafür, um geheim zu bleiben: die hohen Zäune um die Anlagen, die ländlichen Gebiete, in denen die Produktion stattfindet. Jeder könnte sie besichtigen, jeder ist schon einmal an einer vorbeigefahren.

Aber es ist ein Wissen, das die Gesellschaft tabuisiert und auch die Individuen, weil wir aus Selbstschutz gar nicht wirklich wissen wollen, wie unser Fleisch hergestellt wird.

Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn Sie in ihrem Text nicht reihenweise Vögel, sondern Schweine hätten sterben lassen?

Ich glaube ja. Obwohl Schweine deutlich menschenähnlicher sind, glaube ich: Vögel haben einen größeren Symbolgehalt. Sie sind viel fragilere Wesen und in gewisser Weise nicht so körperlich. Vögel sind ja die eigentlichen Träger von Flughoffnungen, sie sind diejenigen, die den Himmel durchkreuzen, die Mittler zwischen den Göttern und den Menschen. Und das hat sie in der Geschichte immer geheimnisvoll gemacht.

Von daher scheint die Brutalität der Produktion von Vögeln, die Brutalität, das Federvieh an den Boden zu fesseln, in Hallen einzusperren, es zu mästen, ohne dass die Tiere jemals zum Brüten kämen, viel größer als der gleiche Umgang mit Schweinen.

In Ihrem Text erscheinen die Gänse gar nicht mehr als Vögel, sondern als echsenartige Geschöpfe mit Reptilienfüßen.

Der Junge, von dem der Roman handelt, steht vor den Geflügelhallen und stellt sich vor, wie sich die Tiere nachts in Saurier zurückverwandeln. Er hat gelesen, dass Pterodaktylen, Flugsaurier, und Archäopterixe die Vorfahren der Vögel waren. Das deutet schon an, dass er das, was hier stattfindet, unheimlich findet.

Was stattfindet, ist die Verwandlung von Tieren in Schlachtkörper, bis sie sich durch die Epidemie selbst auslöschen.

Ja, erst als die Tiere selbst sterben und nicht getötet werden, sondern das apokalyptische Chaos in den Masthallen zu einem Schreckensbild wird, gewinnen sie ihre Tierheit wieder zurück. Davor sind sie nur Ware.

A-Ware.

A-Ware. Sauber entkielte künftige A-Ware. Das ist der eigentliche Horror: Die Menschen haben sich auf etwas eingelassen, das ethisch absolut fragwürdig ist. Sie sind in eine Art von maschinellem Töten eingetreten, dem sie nicht mehr entkommen.

Das Ende ist nicht minder unheimlich. „Eine kleine Entenkralle ragte aus der Masse der Vögel heraus. Sie zuckte. […] Mit einem Tritt schoß er das Kücken weg.“ Nehmen die Zuschauer der fabrikmäßigen Produktion von Nahrungsmitteln selbst Schaden?

Es geht um die Frage, ob es einen unschuldigen Zeugen geben kann, oder heißt nicht Zusehen schon mit schuldig werden? Der Junge, aus dessen Sicht erzählt wird, ist hier Stellvertreter des Lesers. Er wird in diese Geschichte hineingezogen, weil sein Vater einen Traum von sozialer Unternehmung verwirklichen will, die aber eigentlich auf einem sehr blutigen Schlachten basiert. Der Junge muss damit umgehen, dass er gesehen hat, wie unsere Gesellschaft funktioniert.

Eine nahe liegende Frage: Essen Sie selbst noch Fleisch?

Ich esse Fleisch …

Biofleisch?

Ja, eher. Aber es ist nicht so, dass ich Hardcore-Veganer wäre.

Sie haben sich mit all diesen Fragen zu einem Zeitpunkt beschäftigt, als von einer Vogelgrippenepidemie in Deutschland noch keine Rede war. Überrascht es Sie, wie jetzt mit der Vogelgrippe umgegangen wird?

Die Hysterie hat mich überrascht. Die Fixierung auf das apokalyptische Ende und das nicht mehr reale Abschätzen von Gefahren. Eine Zeit lang wirkte es so, als stünde die Pandemie direkt ins Haus und als würde die Vogelgrippe zur Ausrottung ganzer Bevölkerungsteile führen. Erschreckend – und für mich als Schriftsteller auch interessant – fand ich, dass es Studien darüber gibt, welchen volkswirtschaftlichen Schaden wir bei 60.000 Vogelgrippetoten hätten.

Glauben Sie, dass der Schrecken ausreichend groß ist, um aus der bisherigen Tier-Fabrikation auszusteigen?

Ethisch wäre das geboten, weil sich die Gesellschaft es nicht leisten kann, so mit dem Leben umzugehen. Aber ich habe keine Hoffnung, dass das kommt.