Globalisierung im Fluss

Im geographischen Bauch der Stadt will Hamburg sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellen. Stadtflucht und Verkehrsprobleme, Integration oder Bildungsnotstand – in Wilhelmsburg sollen wegweisende Lösungen gefunden werden

Von Gernot Knödler

Wie kann sich eine Großstadt im globalen Wettbewerb der Metropolen behaupten? Wie kann sie kreative Menschen anziehen und Träume wecken? Wie kann sie die Kluft zwischen Arm und Reich verringern und Fremde zu Bürgern machen? Der Hamburger Senat will diese Fragen im geographischen Bauch der Stadt beantworten lassen – auf der 35 Quadratkilometer großen Elbinsel Wilhelmsburg zwischen der Innenstadt und Harburg. Bis zur Internationalen Gartenschau (IGA) und der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013 sollen wegweisende Lösungen gefunden werden.

Der Stadtteil

Die Elbinsel hat Schlagzeilen gemacht: Hier tötete der Kampfhund Zeus im Jahr 2000 einen sechsjährigen Jungen. Im gleichen Sommer exekutierte der 32-jährige Sven Böttcher seine Freundin und deren zwei Töchter, weil die Frau ihn verlassen hatte. Die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als elf Prozent, 14 Prozent der Menschen beziehen Sozialhilfe. 48 Prozent der Schüler sind Ausländer mit entsprechend schlechten Chancen im Schulsystem. Lange Zeit wurde Wilhelmsburg vorgeführt, wenn es darum ging, den sozialen Zerfall deutscher Großstädte zu beschreiben.

Wilhelmsburg ist ein Stadtteil der Gegensätze: Im Westen der Hafen mit seinen Industrie- und Lagereibetrieben, nebenan ein Wohnviertel, und in der Mitte die Wilhelmsburger Reichsstraße: 135.000 Autos rauschen täglich an Kleingärten vorbei. Parallel dazu verläuft die Bahnstrecke, die Hamburg mit dem Süden der Republik verbindet, ebenso die A1 von Bremen nach Lübeck. Im Osten stehen Einfamilienhäuser neben Wohnburgen. Die Siedlung läge idyllisch inmitten von Wiesen und Weiden, stünde sie nicht auch an der Autobahn.

Der Rahmen

Der Senat unter Bürgermeister Ole von Beust (CDU) hat 2001 eine Vision aus dem Hut gezaubert. Den drohenden Bevölkerungsschwund konterte er mit seinem Leitbild „Wachsende Stadt“. Der Kampf um Einwohner, Investitionen und Firmensitze erhielt ein zugkräftiges Etikett, das bis zum heutigen Tag Optimismus verbreitet. Von Beust trieb die von seinen SPD-Vorgängern initiierte Innenstadterweiterung auf ehemaligem Hafengelände, die Hafencity, voran und verband sie mit der Bewerbung für Olympia 2012. Plötzlich rückte die logische Fortsetzung der mit der Hafencity begonnenen Innenentwicklung in greifbare Nähe – der „Sprung über die (Norder-)Elbe“.

Hamburgs Oberbaudirektor Jörn Walter ließ sich diese Chance nicht entgehen. Als Ergänzung zu der 2000 vom damaligen grünen Umweltsenator Alexander Porschke initiierten Internationalen Gartenbauausstellung IGA 2013 schlug er die IBA vor.

Die Zukunft

In Wilhelmsburg gilt es dabei, konkurrierende Ansprüche in Einklang zu bringen. Der Containerumschlag im Hafen wächst mit zweistelligen Raten. Die Kisten brauchen Lagerplätze. Das Stapeln macht Krach. Wer in der Nähe wohnt, braucht Lärmschutz.

Täglich müssen Tausende Container durch das Hafengebiet geschleust werden. Weil die Laster immer öfter im Stau stehen, fordert die Wirtschaft eine Autobahn quer durch den Hafen. Nach den bisherigen Vorstellungen soll diese „Hafenquerspange“ zwischen Wilhelmsburg und der Innenstadt auf Stelzen stehen. Das würde ihren Stadtteil vollends abschneiden, fürchten die Wilhelmsburger. Die Brücke könnte eine „ästhetische Bereicherung der Stadtlandschaft“ sein, findet der Oberbaudirektor.

Nach den Vorstellungen der mächtigen Handelskammer könnte sich die Zahl der Wilhelmsburgerinnen von derzeit knapp 50.000 auf 100.000 verdoppeln. Die CDU will es jungen Familien ermöglichen, ihr Häuschen in Wilhelmsburg statt im Umland zu bauen. Dementsprechend gibt es Ideen für ein Logistikzentrum auf der grünen Wiese und eine Einfamilienhaussiedlung, die in die Landschaft integriert werden soll. Loki Schmidt, die Frau des ehemaligen Bundeskanzlers, hat bereits protestiert. Denn auf den dafür vorgesehenen wechselfeuchten Weiden blüht der seltene Klappertopf.

Der Senat hofft mittels der Ausstellungen intelligente Lösungen für diese Konflikte zu finden: innovative Gewerbegebiete als Verbindung zwischen Stadt und Hafen, eine intelligente Infrastruktur, neue Wohnformen. Leuchtturmprojekte wie diverse Brücken, ein Auswanderermuseum, ein Aussichtsturm auf einem Müllberg und ein See mitten im Stadtteil sollen Phantasie und Energie in den Stadtteil lenken.

Neuerdings ist sogar auch noch von einer Bildungsausstellung die Rede. Bessere Schulen sollen verhindern, dass eine Generation von Sozialhilfempfängern heranwächst. Als Quartiersschulen sollen sie zum Ort des Lernens und der Begegnung für alle Bewohner des Viertels werden.