berliner szenen Wiedersehen mit Einstein

Purzelbäume schlagen

Er war es tatsächlich. Es gab keinen Zweifel. Auch wenn ich ihn seit dem Abitur nicht mehr gesehen hatte, erkannte ich ihn sofort wieder. Die Haare auf seinem Kopf waren weniger geworden, aber er trug noch immer diese unmodischen, grau verstaubten Bundfaltenhosen.

„Einstein“, sagte ich, denn das war sein Spitzname in der Schule gewesen. „Da staunst du, was?“, sagte er, und er hatte Recht. Ich staunte wirklich.

Manchmal holt einen die Vergangenheit in Momenten ein, in denen man überhaupt nicht mit ihr rechnet. In diesem Fall war es ein Purzelbaum, der bis vor meine Füße gekullert war.

Ich wusste über mehrere Ecken, dass er mittlerweile promovierter Physiker war, aber er benutzte anscheinend immer noch diesen Tick mit den Purzelbäumen. Er hatte schon zu Schulzeiten in jeder möglichen und unmöglichen Situation Purzelbäume geschlagen. Ich werde nie vergessen, wie er 1987 bei den Bundesjugendspielen die 400-Meter-Stadionrunde statt auf seinen Füßen mit Purzelbäumen zurücklegte. Seine Haare waren anschließend voll von diesen roten Granulatkörnern gewesen, und er kam als Letzter ins Ziel, aber das störte ihn nicht. Diese Purzelbäume schienen auf unerklärliche Weise Glückshormone in seinem Körper freizusetzen. Er war geradezu süchtig nach ihnen und wäre deshalb mehr als einmal fast von der Schule geflogen.

Und nun stand er in der U-Bahn vor mir, eine Station vor Nollendorfplatz und vierzehn Jahre später. „Du bist in Berlin“, sagte ich, obwohl das offensichtlich war, aber mir fiel nichts Besseres ein. Ich stand noch immer unter dem Schock dieses vierzehn Jahre langen Purzelbaums, der als Déjà-vu vor meine Füße gerollt war und jetzt auf zwei Füßen vor mir stand. DANIEL KLAUS