LETZTER TAG IM PRINZENBAD
: Berlin am Meer

Versonnen schauen sie auf die verwaisten Schwimmbecken

Das Prinzenbad ist Kult, besonders am letzten Abend. „Toll, dass du gekommen bist“, freut sich Dagmar, die ewig gut gelaunte Pächterin der kleinen Cafeteria von Kreuzbergs Freibadlegende, als ich Sonntagabend zum rituellen Schlussbuffet der Hardcore-Prinzenbadianer stoße. Alle sitzen in dicken Jacken auf der geliebten Terrasse, löffeln Möhre-Mango-Suppe oder verschlingen Daggis Giottotorte. Matthias schenkt kostenlos Kaffee ein: Saisonende. Unwiderruflich. Die Halle droht.

Je später der Abend, desto stärker der Abschiedsschmerz. Ein paar stehen am schon geleerten Durchschreitebecken und schauen so versonnen auf die verwaisten blauen Schwimmbecken in der Dämmerung, wie man im Urlaub einen letzten Blick auf den Strand wirft, um die Erinnerung daran unauslöschlich zu speichern. „Hier drinnen vergisst man, wie schrecklich es da draußen aussieht“, sagt Alex, ein athletischer Schwimmer aus der Nachbarschaft, am Stehtisch in der Cafeteria, mit einer abwertenden Handbewegung Richtung Gitschiner Straße. „Das ist meine Oase. Für ein paar Stunden denkt man, dass man ganz woanders ist.“ Alle nicken. Die rituelle Wehmut über den temporären Verlust eines unvergleichlichen Gefühls überdeckt den rituellen Ärger, mit dem wir im nächsten Mai wieder über die ewigen Traumata des Prinzenbads herziehen werden: verkalkte Duschköpfe, abgebrochene Kleiderhaken, verbogene Spindtüren, jede Menge Spinnweben, kein Klopapier. Aber da kann die Cafeteria ja nichts für. Daggi raucht, ausnahmsweise, Matze schenkt selbst gemachte Liköre aus Limoflaschen ein. „Ich bin Buchhalter“, stellt sich Uwe vor, den man sonst nur von Weitem auf den Sonnenterrassen vor sich hinbräunen sieht.

Als ich auf die dunkle Terrasse trete, klingt das Rauschen des vom Nachtwind bewegten Wassers hinter den Bäumen wie das Meer. INGO AREND