Rassistischer Mordversuch in Potsdam

Afrodeutscher in der brandenburgischen Hauptstadt lebensgefährlich verletzt. Oberbürgermeister spricht von „neuer Qualität“ rechtsextremer Gewalt. Opferverbände registrierten in diesem Jahr bereits 21 Übergriffe in dem ostdeutschen Bundesland

VON ASTRID GEISLER

Ein aus Äthiopien stammender Deutscher ist am Ostersonntag von Unbekannten in Potsdam überfallen und schwer misshandelt worden. Der 37-jährige Vater zweier Kinder erlitt nach Polizeiangaben bei dem Überfall ein schweres Schädel-Hirn-Trauma sowie Knochenbrüche. Er schwebt in Lebensgefahr und wurde auf der Intensivstation ins künstliche Koma versetzt. Der Ingenieur für Wasserbau, der gegenwärtig an seiner Doktorarbeit schreibe, sei gegen vier Uhr früh an einer Straßenbahnhaltestelle in der Brandenburger Vorstadt auf offener Straße überfallen worden.

Die Staatsanwaltschaft geht von einer rassistisch motivierten Tat aus. Sie ermittelt unter anderem wegen Mordversuchs mit fremdenfeindlichem Hintergrund. Die Beweise dafür sind laut Polizei eindeutig: Die Stimmen der Täter wurden zufällig von der Handy-Mailbox des Opfers aufgezeichnet. Demnach beschimpften sie den 37-Jährigen unter anderem als „dreckigen Nigger“. Für die Tat gebe es jedoch bislang nur einen Zeugen – einen Taxifahrer, der sah, wie sich zwei Gestalten über den am Boden liegenden Mann hermachten. Als er angehalten habe, um zu helfen, seien die Täter geflüchtet.

Es würden zwei Männer oder ein Mann und eine Frau gesucht, sagte gestern der Sprecher der Potsdamer Staatsanwaltschaft, Benedikt Welfens. Die Ermittlungsbehörde richtete eine zwölfköpfige Sonderkommission ein und setzte eine Belohnung von 5.000 Euro für Hinweise auf die Täter aus.

Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) kündigte an, das Verbrechen konsequent zu ahnden. „Wir dulden in diesem Lande nicht, dass Menschen wegen ihrer Hautfarbe, ihrer Religion oder politischen Haltung von Extremisten verfolgt, zusammengeschlagen oder gar ermordet werden“, sagte er. Der Frau – einer Potsdamer Deutschen – und den beiden Kindern des Opfers bekundete Schönbohm seine tiefe Anteilnahme und versprach ihnen alle erdenkliche Unterstützung.

Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs zeigte sich äußerst beunruhigt über das Verbrechen. Mit der Tat hätten die brutalen Überfälle aus der rechtsextremen Szene in Potsdam eine „neue Qualität“ erreicht, sagte er. „Wir wollen eine Stadt, in der sich alle sicher fühlen.“

Davon kann in Potsdam allerdings schon länger nicht mehr die Rede sein – auch wenn die Staatsanwaltschaft gestern von einem „besonders krassen, extremen Einzelfall“ sprach und keinen Zusammenhang zu anderen rechtsextremen Gewalttaten in brandenburgischen Städten erkennen wollte.

Die jüngste Tat scheint eine Serie gewaltsamer rechtsextremer Übergriffe fortzusetzen, die im vergangenen Jahr die brandenburgische Landeshauptstadt erschüttert hatte. Erst vor drei Wochen verurteilte das Potsdamer Landgericht vier jugendliche Neonazis zu mehrjährigen Haftstrafen, die im vergangenen Sommer einen Linken in einer Straßenbahn brutal zusammengeschlagen und schwer verletzt hatten. Potsdam gilt seit gut einem Jahr als Tummelplatz der gewaltbereiten Kameradschaftsszene aus dem Raum Berlin und Brandenburg. Seitdem in Berlin zwei der größten dortigen Kameradschaften verboten wurden, haben deren Mitglieder ihr Aktionsfeld offensichtlich nach Potsdam verlagert.

Im vergangenen Sommer hatte sich die Gewalt von rechts in der brandenburgischen Landeshauptstadt nach Einschätzung von Beobachtern allerdings vor allem gegen Jugendliche aus dem linken Spektrum und gegen Punks gerichtet – weniger auf Ausländer oder Menschen anderer Hautfarbe. Für Aufsehen sorgte auch ein gewalttätiger Übergriff von Jugendlicher aus der linken Szene auf einen stadtbekannten Neonazi.

Anfang dieses Jahres hatte sich auch Innenminister Schönbohm besorgt über die steigende „Bereitschaft zur Militanz“ in der rechtsextremen Szene in Brandenburg geäußert. Seither schlugen Neonazis in mehreren Städten zu: Sie verprügelten unter anderem ausländische Studenten in Cottbus und demolierten mehrere von Ausländern betriebene Geschäfte in Rheinsberg. Die Organisation „Opferperspektive“ hat in diesem Jahr bereits 21 Übergriffe in Brandenburg registriert.