Emotionale Begegnung vor Gericht

NSU-PROZESS Der Vater des ermordeten Internetcafé-Betreibers Halil Yozgat klagt Beate Zschäpe an. Der Verfassungsschützer Andreas T. will von dem NSU-Mord in Kassel damals nichts gemerkt haben

MÜNCHEN taz | Ismail Yozgat ringt um Fassung. „Er gab mir keine Antwort, keine Antwort, keine Antwort“, schrie der Vater des in Kassel ermordeten Internetcafé-Betreibers Halit Yozgat beinahe. Er sprang vom Zeugenstuhl auf, die Arme angewinkelt, um zu zeigen, wie er seinen sterbenden Sohn in den Armen hielt. „Er verblutete in meinen Armen, ich schrie“, sagt er. Betroffen wandern Blicke von Zuschauern hin und her in dem fensterlosen Saal. Das Klacken der Tastaturen der Journalisten schien leiser zu werden.

Am Dienstag stand vor dem Oberlandesgericht in München die Ermordung von Halit Yozgat am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in der Holländischen Straße 82 in Kassel zur Verhandlung an. Er war laut Anklage das neunte Opfer der NSU-Terroristen. Ein kleines Transparent mit dem Bild seines Sohnes hatte der Vater an seinen Sitzplatz an einem Mikrofon befestigt. Nach einem kurzen Gespräch mit Gerichtsbediensteten nahm er es ab. In der Vernehmung hielt sich der 58-jährige Frührentner aber nicht zurück. „Warum haben sie meinen Sohn getötet?“, fragte er energisch in Richtung der Hauptbeschuldigten Beate Zschäpe.

An jenem Tag, als sein 21-jähriger Sohn ermordet wurde, hätte er ihn um 17.05 Uhr in dem Internetcafé „im vollen Blut“ aufgefunden, ließ Ismail Yozgat einen Dolmetscher übersetzen. Mit seiner Frau war er ein Geburtstagsgeschenk für sich kaufen, eine Werkzeugkiste. Am nächsten Tag sollte sein Geburtstag gefeiert werden. „Ich habe mir verboten, meinen Geburtstag bis zu meinen Tod zu feiern“, sagt er. „Mit welchem Recht haben sie mein Lämmchen getötet“, fragte er erneut in Richtung Zschäpe, die keine Regung zeigte. Mehrmals versuchte der Vorsitzende Richter, Manfred Götzl, ihn zu beruhigen. Ismail Yozgat klagte aber auch die Polizei an. Als er von der Beerdigung aus der Türkei wiederkam, hatten die Ermittler das Zimmer des Sohns versiegelt und in der Familie wie im Umfeld Gerüchte über Drogenhandel und Mafiabeziehungen gestreut. „Wir wurden von Deutschen und Türken gemieden“, klagt Yozgat. Ihr Leben sei vorbei, er selbst erlitt einen Herzinfarkt. Seine Frau reichte ihm Taschentücher für die Tränen.

Ismail Yozgat wollte auch wissen, welche Rolle der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas T., der das Internetcafé knapp vor den Schüssen verlassen haben will, in diesem Fall spielte. Vor dessen Vernehmung stellten die Nebenkläger den Antrag, die Ermittlungsakten zu ihm in das Verfahren mit einzubeziehen. Seda Baysa begründete, nur dann könnten die Aussagen des Zeugen eingeordnet werden. Denn es bestehe der Verdacht, dass T. nicht alles erzählen könne. Nach einem Wortgefecht zwischen Gericht, Bundesanwalt und Nebenkläger wurde entschieden, erst einmal mit der Vernehmung zu beginnen. Andreas T., der als V-Mann-Führer auch eine „rechtsextreme Quelle“ geführt hatte, räumte auf Nachfragen ein, sich aus Angst vor privaten und beruflichen Auseinandersetzungen zunächst nicht bei der Polizei gemeldet zu haben. Bis Redaktionsschluss lief die Befragung. ANDREAS SPEIT