Die verschenkte Stadt

Großkonzerne nutzen die Fußball-WM zur großflächigen Selbstdarstellung. Fernsehturm, Reichstag und Brandenburger Tor werden zu Werbetafeln degradiert. Die Stadt bekommt dafür kaum einen Cent

Durchgewalkte Ideen

Vor dem Reichstag macht sich eine Kopfschmerztablette aus Plastik breit. Vor dem Brandenburger Tor kauert ein Auto. Im Spreebogenpark schimmern Stollenschuhe. Die ästhetischen Bankrotterklärungen, die derzeit als „Walk of Ideas“ angepriesen werden, haben zwei Dinge gemeinsam: Sie okkupieren die wichtigsten Orte der Stadt, und sie haben nichts mit der Fußball-WM zu tun. Willkommen zum Berliner Schlussverkauf.

Ersonnen haben den Skulpturenpark Konzerne und die Bundesregierung. Das „Public Private Partnership“ richtet mehr Schaden an, als ein paar Touristen zu verstören. Die Firmen bekommen öffentlichen Raum en masse, Bilder vor toller Kulisse, Imagepflege. Die Stadt bekommt: nichts. Miete werde nicht gezahlt, so eine Sprecherin.

Was laut Pressetext zeigen soll, wie pfiffig deutsche Denker sind, zeigt in Wirklichkeit, wie einfallslos die Konzerne sind. Ihre Skulpturen kopieren ihre Produkte: Die Schuhe zieren drei Streifen, die Tablette das Bayer-Kreuz, das Auto bildet ein neues Audi-Modell nach. Es ist deshalb eine glatte Lüge, wenn Jürgen Thumann, der Chef des Industrieverbands, behauptet, ein Tourist, der das Auto vor dem Tor fotografiere, nehme ein „Bild von Deutschland“ mit nach Hause. Er klebt sich Audi-Werbung ins Album. Und irgendwo im Hintergrund kommt Deutschland auch noch vor. Die Konzerne degradieren nicht nur die Stadt zur Kulisse, sie bauen sich gleich eigene Symbole. Der Chemiekonzern BASF, der das Auto lackiert hat, nennt es „Berlins neues Wahrzeichen“.

Verwunderlich ist dies alles nicht. Natürlich wollen Konzerne ihre Marken in Raum und Köpfe drücken. Traurig ist, dass Berlin sich immer wieder dem Kommerz in die Arme wirft. Als das Brandenburger Tor restauriert wurde, behängte es die Telekom mit einer Werbeplane. Bei der Enthüllung seilte sich ein fast vergessener Modemacher aus einem Ballon ab, öffnete einen Riesenreißverschluss, die Plane fiel. Die Welt staunte, Berlin war ganz bei sich. ULRICH SCHULTE

Der verballerte Fernsehturm

Kaum ein Berlin-Film kommt ohne ihn aus, am liebsten wird er von den Dächern in Prenzlauer Berg in Szene gesetzt: der Berliner Fernsehturm, den die DDR 1969 zum Gedenken an ihren 20. Geburtstag am Alexanderplatz errichtete. 35 Jahr später ist er ein besonderes Beispiel dafür, wie sich das arme Berlin an einen Bonner Großkonzern für null verkauft. Die Deutsche Telekom AG, der der Turm gehört, darf ihn zur Fußball-Weltmeisterschaft der Herren umsonst als Werbefläche missbrauchen – und klebt einen magentafarbenen Pseudofußball auf die Turmkugel. So als ob jeder Häuslebauer sein Dach als Reklamefläche vermarkten dürfte.

Dabei ist die Idee, die Fernsehturmkugel zur WM als überdimensionalen Fußball zu gestalten, an sich genial – und sie wäre bei adäquater Umsetzung eine weltweite Werbung für Berlin, das wirtschaftlich zunehmend auf Touristen angewiesen ist. Die verballerte Kopie am Himmel über Berlin ist nur eines: hässlich.

Ein Fußball ist schwarz-weiß – jedenfalls war er es so lange, bis die Marketing-Abteilungen der Sportartikelhersteller auf die Idee kamen, jedes Jahr ein neues Design zu entwerfen, um mehr Bälle zu verkaufen. Eines ist aber ein Fußball nie: rosa. So erinnert der beklebte Turm nun auch eher an das Gesicht eines pickeligen Jungstars denn an einen Fußball.

Doch der Telekom ging es offensichtlich eher um die penetrante Verbreitung ihrer Hausfarbe als um eine Hommage an das bevorstehende Fußballfest. Deshalb prangt jetzt auch noch ein riesiges Telekom-T auf der Kugel. Das ist nicht nur konsequent, sondern dreist. Wenn schon Werbung, dann soll der Konzern wenigstens dafür bezahlen – damit in den brachen Berliner Schulen vernünftige Internet-Zugänge installiert oder Fußbälle für den Sportunterricht angeschafft werden können.

RICHARD ROTHER

Die Stadionkopie

Der Asphalt ist schon da. Über der Rasenfläche zwischen Bundestag und Bundeskanzleramt erstreckt sich die dunkelgraue Masse und lässt das Grauen erahnen, der auf ihm stattfinden soll: Veteranen-Fußballspiele und TV-Sendungen mit Johannes B. Kerner und Thomas Gottschalk.

Nur 45 Meter vom Reichstagsgebäude entfernt entsteht die „Adidas World of Football“. Ein Nachbau des Olympiastadions im Verhältnis 1 zu 33, umgeben von Bolzplätzen mit Kunststoffrasen, Bühnen und einem „Hospitality“-Bereich für 250 Personen. „Biertrinken und in die Gegend gucken“-Bereich klang wohl zu wenig erbaulich. Auf ihren 40.000 Quadratmetern wird die kleine Fußballwelt beweisen, dass es in der großen Welt keinen zivilisatorischen Fortschritt gibt. Eher eine Wiederholung der deutschen Geschichte als Farce.

Früher schmähte Kaiser Wilhelm II. das deutsche Parlament als „Quasselbude“. Heute lobt ein illegitimer „Kaiser“ Franz Beckenbauer eine Quasselbude direkt vor dem deutschen Parlament. Früher schämte sich halb Deutschland für das von Nazi-Architekten um- und fertig gebaute Olympiastadion am Stadtrand. Heute scheint sich halb Deutschland zu freuen über ein von einem Privatunternehmen hingeklotztes, nachgebautes Olympiastadion mitten in der Stadt.

Das ist mitnichten ein Zeichen neuer Entspanntheit im Umgang mit historisch prekären Stätten. Es ist die Kapitulation verantwortlicher Berliner Behörden vor der Frage: Wie geht die deutsche Hauptstadt mit symbolisch aufgeladenen Orten um? Anstatt dies mit eigenen Konzepten zu beantworten, will sich der Senat davon befreien. In der Hoffnung, dass Asphalt, Kunstrasen und Stahlträger die Diskussion um den Grund darunter bis zum Finale am 9. Juli begraben. Doch auch die Übereignung öffentlichen Raums an einen Konzern zu Werbezwecken ist eine Antwort. Wie es sich für Berlin bis heute gehört, ist sie zutiefst provinziell.

MATTHIAS LOHRE