Ungewollt und unsichtbar

FILM „Schutzlos“ zeigt das Leben von Illegalen wie selten im Hauptabendprogramm (20.15 Uhr, ZDF)

Ein paar widersprüchliche Charakterzüge der Heldin hätten nicht geschadet

Sie wühlen im Dreck, passen auf kleine Kinder auf und schrubben Toiletten. Man nennt sie verächtlich „Illegale“, und sie müssen immer darauf gefasst sein, von den Behörden entdeckt und in ihre Heimatländer abgeschoben zu werden. Bis zu eine Million Menschen lebt ohne Aufenthaltsrecht in Deutschland. Ihre Geschichten werden in den fiktionalen Produktionen der hiesigen Fernsehsender selten erzählt, schon gar nicht im Hauptabendprogramm. Das heute ausgestrahlte Drama „Schutzlos“ von Regisseur René Heisig ist allein deshalb etwas Besonderes.

Im Mittelpunkt steht die 34-jährige Maria Moreno (Carolina Vera) aus Honduras. Aus Angst vor einer Gefängnisstrafe ist sie nach Deutschland geflohen und schlägt sich in Augsburg mit Putzjobs durch. Ihren Sohn und ihre Tochter ließ sie zurück bei ihrem Exmann und dessen neuer Frau. Als Maria erfährt, dass die Kinder von ihrer Stiefmutter geschlagen werden, holt sie die beiden nach Deutschland.

Der Film basiert auf dem Tatsachenroman „Illegal“ von Steffen Bayer, der beim ZDF als Redakteur im Ressort Zeitgeschichte und Zeitgeschehen arbeitet. Im Zuge einer Recherche hatte er vor ein paar Jahren eine aus Südamerika geflohene Frau kennengelernt und ihre Erlebnisse aufgeschrieben.

Die Umsetzung des Stoffes fürs Fernsehen ist größtenteils gelungen. Anschaulich und streckenweise bewegend wird in den neunzig Minuten dargestellt, unter welch permanentem Druck Papierlose stehen. Bloß nicht auffallen, immer die Klappe halten und sich alles gefallen lassen: das sind die Spielregeln, die sie in jeder Alltagssituation befolgen müssen. Vermieter verlangen horrende Mieten für die letzten Löcher, und die Mittelschichtler, für die Maria putzt, mögen an ihr vor allem, dass sie so fleißig ist und so wenig Geld verlangt. „Viele profitieren von den Dienstleistungen derjenigen, die hier in einer Schattenwelt arbeiten, ausgenutzt werden und rechtlos sind“, sagt Regisseur Heisig. „Stattdessen heißt es, diese Menschen seien Wirtschaftsflüchtlinge, die es sich hier gut gehen lassen. Dieses Bild will ich korrigieren.“

Das ist ein ehrenwertes Anliegen. Schade ist, dass sich seine Maria Moreno so moralisch überkorrekt ihrer Lebenssituation stellt. Sie ist eine Art Vorzeigemigrantin, die nach dem Geschmack der Mehrheit des deutschen Publikums sein dürfte: Sie hat schnell Deutsch gelernt, ist religiös, bescheiden, hilft ihren Freunden in der Not und kämpft für ihre reizenden Kinder. Ein paar widersprüchliche Charakterzüge hätten nicht geschadet. Heisig hält dagegen: „Wir brauchten eine Figur, mit der sich das große Publikum identifizieren kann, denn wir wollen Menschen erreichen, die sich sonst nicht für das Thema interessieren.“

„Schutzlos“ driftet dennoch nie ins Süßliche ab, und das liegt auch an der gebürtigen Chilenin Carolina Vera, die sich mit ihrer überzeugenden Darstellung der Maria für höhere Aufgaben empfiehlt. „Meine Biografie war für die Entwicklung der Figur sicherlich hilfreich“, sagt sie. „Ich bin mit zehn Jahren hierhergekommen und weiß, wie es ist, eine neue Kultur zu erforschen, diese nicht nur zu verstehen, sondern ein Teil von ihr zu werden.“

Eines war ihr beim Dreh besonders wichtig: „Ich wollte begreifbar machen, wie sehr Maria sich bemüht, in jeder noch so misslichen Lage ihre Würde zu bewahren. Sie tut das, weil sie andernfalls von der Situation aufgefressen wird. Das ist für mich auch eine der Kernaussagen des Films: Wir alle sind aufgefordert, die Würde dieser Menschen zu bewahren. Der Status vieler Flüchtlinge mag ‚illegal‘ genannt werden, aber Menschen können niemals illegal sein.“ Wenn diese Botschaft bei dem ein oder anderen Zuschauer ankommt, hat der Film viel erreicht. SVEN SAKOWITZ