ICH MÖCHTE SAUBER DURCH DIE WELT GEHEN KÖNNEN. DER KAPITALISMUS IST AUF EINEM ANDEREN PRINZIP AUFGEBAUT
: Das verlorene Ersparte der Frau Schmidt

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Was ich überhaupt nicht kann, ist verkaufen. Deshalb nehme ich nie an Flohmärkten teil, ich verticke nichts auf Ebay und ich verschenke alle alten Kindersachen, gebrauchten Hausrat und was ich so über habe, an Leute, die es vielleicht brauchen können. Ich habe selber auch schon viel geschenkt bekommen, so gleicht es sich alles wieder aus.

Wenn ich was verkaufen könnte, dann allenfalls Sachen, von denen ich überzeugt bin, vollkommen und total überzeugt. Es dürfte nur ein einziges Bücherregal in meinem Buchladen stehen. Ich denke, das liegt daran, dass ich nicht möchte, dass zwischen mir und einem anderen Menschen ein Ungleichgewicht entsteht. Wenn ich jemandem etwas verkaufe, das das Geld, das er mir gibt, nicht wert ist, dann entsteht ein Ungleichgewicht zu meinen Ungunsten. Ich schulde dem anderen Menschen dann etwas, und das möchte ich nicht. Ich möchte frei sein und ganz sauber durch die Welt gehen können.

Der Kapitalismus aber ist auf einem anderen Prinzip aufgebaut, im Kapitalismus wird verkauft, was das Zeug hält, und das muss auch so, sonst bricht das System zusammen. Die Postbank, von der ich aus irgendeinem irrationalen Grund immer vermutet habe, dass ihr etwas irgendwie Seriöses anhaften würde, hat, wie es nun herausgekommen ist, ein paar Leute, und gar nicht mal so wenige, übers Ohr gehauen, indem ihre Finanzberater ihnen etwas verkauft haben, was gar nicht gut für die Menschen war, nämlich geschlossene Schiffsfonds, die ein hohes Risiko für die Anleger bedeuten. Ein Berater aus Kiel soll nach Informationen des Norddeutschen Rundfunks in sechs Jahren mehr als zweieinhalb Millionen Euro an Provision auf diese Weise erhalten haben. Das lohnt sich ja schon. Es ist von Falschberatung die Rede, von Luxus-Prämien für die Berater, und so ein Berater lebt ja nun mal von der Provision und mitunter anscheinend nicht schlecht.

Viele Leute haben also auf diese Weise ihr angelegtes Geld verloren, andere sehen dies mit einer gewissen Häme, denn letztendlich lässt sich jemand, der sein Geld in Fonds anlegt, ja auf das System ein, er will ja auch mit seinem Geld noch mehr Geld verdienen, und wo eine Bank das Geld herholt, das interessiert den Anleger in der Regel kaum. Ob es sich hier um moralisch einwandfreie Transaktionen handelt, das will er meist gar nicht wissen. Wenn er das wissen will, dann informiert er sich und legt sein Geld wo an, wo es zumindest durchsichtiger ist.

Man kann das. Man kann sein Geld seriös und halbwegs fair investieren. Es kommt nur weniger dabei raus. Das haben die Leute nicht so gern. Sie wollen schon, dass möglichst viel herauskommt. Sie wollen vor allem nicht übers Ohr gehauen werden. Dass sie andere übers Ohr hauen, wenn ihre Bank mit ihrem Geld noch mehr Geld verdient, dass man anders eigentlich nicht viel Geld verdienen kann, das interessiert die Leute nicht oder nur am Rande.

Nun gut. Es sind ja kleine Leute. Kleine Leute gucken nur von hier nach da und nicht in die Weltpolitik. Sie vertrauen der netten Vertreterin, die nach Hause kommt, zu Kaffee und Kuchen, und ganz tolle Perspektiven eröffnet, finanziell gesehen.

Aus Sicht der Finanzberater/in, die Frau Schmidt geschlossene Schiffsfonds verkauft, von denen sie weiß, dass sie ein hohes Risiko in sich bergen, während sie Frau Schmidts Kaffee trinkt, auf ihrem Sofa sitzt und ihre Katze streichelt, ist das ganze nur verständlich, wenn diese Finanzberater/in als ein Mensch frei von auch nur Spuren von Scham und Anstand vorstellbar ist. Denn was denkt sich diese Frau/dieser Mann dann, wenn er/sie Frau Schmidt später am Aldi trifft, wo sie nun einkaufen geht, weil sie ihr Geld verloren hat, während die Finanzberater/in mit ihrer Provision, die sie nicht so bescheuert angelegt hat, nun ein nettes Polster für das Alter hat? Denkt sie sich: „Tja, Pech, Frau Schmidt, reingefallen!“?

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen.