Von Beruf Zauberin

„Es ist anstrengend, immerzu schief angeguckt zu werden“, sagt die Hexe Minerva

AUS DORTMUNDMIRIAM BUNJES

„Da.“ Die Stimme klingt hart, spuckt das kurze Wort aus – unwillig. Die Frau hat ihren rostrot lackierten Einkaufskorb neben ihrer Terriermischung abgestellt und zeigt mit dem Finger die kurvige Straße hinauf. Dahin, wo die Hexe Minerva arbeitet.

In den Gärten der Einfamilienhäuser stehen die ersten Krokusse in unkrautfreier, sorgfältig geharkter Erde. Dazwischen, auf der Spitze des Hügels, bilden im hohen, wild gewachsenen Gras alte graue Steine einen Kreis. Er soll den Kreislauf der Natur darstellen und ist der Garten eines alten, beige verputzten Hauses mit Spitzdach, Schaufenster und dem Namen Trudimonia.

Nach dem Laden Trudimonia wird häufig gefragt, hier in Dortmunds gutbürgerlichem Stadtteil Berghofen. Aus ganz Deutschland fahren Menschen die schmale geschlängelte Straße hoch, um sich bei NRWs einziger geschäftsführender Hexe beraten zu lassen und Hexenbücher, Tees, Kerzen und Amulette einzukaufen. Und die meisten müssen nachfragen, denn beinahe täglich werden die Hinweisschilder abgeschraubt oder beschmiert.

„Es passt so manchem nicht, was ich hier tue“, sagt Minerva, die ihren bürgerlichen Namen deshalb nicht mehr in der Zeitung lesen will. „Nach jedem Medienbericht nehmen die Übergriffe zu“, sagt die 35-Jährige mit den langen roten Haaren. „Ich hab keine Lust, dass auch bei mir zu Hause das Telefon klingelt und mich jemand beschimpft.“

Im Laden passiert das immer wieder. Minerva nennt sich trotzdem Hexe, trägt lange wallende Gewänder und Pentagramme um den Hals und auf die Wildlederschuhe gestickt. Den Namen der römischen Göttin des Kunsthandwerks trägt sie nur, wenn sie als Hexe arbeitet. Wenn sie zu den Elternsprechtagen ihrer drei Kinder geht oder zur Bank, heißt sie Frau Sommer (Name geändert). Doch auch als Frau Sommer zieht sie sich nicht um. „Ich glaube an eine alte Religion und verstecke das nicht“, sagt sie. Minerva glaubt an die beseelte Natur und dass alles, was sie tut und sagt, irgendwann und irgendwie zu ihr zurückkommt – unter Umständen auch im nächsten Leben. Aus dem Althochdeutschen übersetzt, heißt Hexe Zaunreiterin. Für Minerva bedeutet das: „Ich stehe im Leben, schaue aber auch in die andere Welt.“

Die andere Welt, das ist eine Bewusstseinsebene, die sie erreichen kann, weil sie eine Hexe ist. „Ich habe das über Jahre gelernt und lerne den Rest meines Lebens“, sagt sie. Sie verehrt die Göttin, weil Weiblichkeit das Leben schenkt. „Dazu gehört aber auch der männliche Gegenpart“, sagt sie. „Allein ist die Weiblichkeit kein Ganzes.“

Minervas Glauben ist alt, viel älter als das Christentum. Aus der Zeit, in der keltische Stämme den Schwerter Wald im heutigen Dortmund-Berghofen bevölkerten und die Druiden Dortmund Trudimonia nannten. Heute geht Minerva oft in den Wald, zu einem keltischen Hügelgrab aus der Bronzezeit, an dem demnächst allerdings eine Schnellstraße entlangführt. Hier meditiert sie, feiert mit Gleichgesinnten, die sie wie sich selbst Naturreligiöse nennt, Jahreskreisfeste und verheiratet als Priesterin Paare im alten Glauben.

Der hat zur Zeit großen Zulauf in Deutschland, sagt die Münsteraner Soziologin Sara Roter. Sie hat für ihre Dissertation fast 1.000 Menschen, die Naturreligionen anhängen, befragt. „Die Bewegung ist sehr vielfältig“, sagt Roter. „Viele sind in Zirkeln organisiert und orientieren sich an der britischen Wicca-Bewegung. Sehr viele haben aber auch einen individuellen spirituellen Weg.“

Und selbst Wicca (was wohl vom keltisch-gälischen wiccein – Seherin – stammt), hat verschiedene Richtungen, unterschiedliche Schwerpunkte und Rituale. „Gemeinsam ist allen der Glaube an eine große Göttin in den Erscheinungsformen Jungfrau, Mutter und alte Weise und die acht Jahreskreisfeste“, sagt Roter. Nach außen tragen diese Gläubigen ihre Religion in Deutschland jedoch selten, fand Roter in den Interviews heraus. „Naturreligionen haftet ein gesellschaftliches Stigma an“, sagt die Soziologin. „Das liegt in Deutschland auch daran, dass die Nazis Symbole, Ideen und Rituale für ihre Ideologie verwendet haben.“ Ein großes Problem, finden auch die beiden deutschen Dachverbände: der Rabenclan und die Pagan Federation Germany. Sie vertreten nach eigenen Angaben fast 100.000 deutsche Neuheiden und distanzieren sich scharf von „esoterischen Neofaschisten, die naturreligiöse Symbole pervertieren“.

„Ich werde ihn einfach nicht los, dauernd geht was an den Wasserrohren kaputt“, sagt die blonde Frau zu Minerva. Sie blättert Kinderbücher durch, Elfenmärchen für die Tagesbetreuung naturreligiöser Dortmunder Kinder, die sie organisiert. „Ich kenn das“, nickt Minerva. „Wassergeister sind hartnäckig, vielleicht musst du nochmal den Keller ausräuchern.“ Solche Dienstleistungen bietet Minerva auch selber an – ab 80 Euro, der Rat im Laden ist umsonst. Wenn sich jemand in seiner neuen Wohnung oder seinem Büro unwohl fühlt, geht sie auf ihre Weise der Sache auf den Grund. „Das funktioniert so ähnlich wie Feng Shui“, sagt sie. „Seltsamerweise nehmen die Deutschen aber eher Fernöstliches an, als auf ihr eigenes altes Wissen zurückzugreifen.“

Minerva stellt Möbel um, vertreibt mit rauchenden Kräutern negative Energien von Vormietern oder aus anderen Quellen. „Wenn ein Haus auf einer Wasserquelle steht, verbreitet das Unruhe“, sagt sie. Sie versucht dann, die Wassergeister zu beschwichtigen, um den Bewohnern ihre Ruhe wiederzugeben.

Deutsche Neuheiden distanzieren sich von „esoterischen Neofaschisten“

Auch im kleinen Laden riecht es geräuchert: nach Tees und Seifen. Parfüms, die die Person, die sie aufträgt, anziehender machen, Tees, die die innere Ruhe zurückbringen, Räucherstäbchen mit Ritualanweisungen, die das Geld vermehren, bietet Minerva in zwei kleinen Räumen an. Dazu Fachliteratur, Kristallkugeln und Heilsteine. Alle Produkte hat Minerva besprochen – zur Diebstahlsicherung, wie die Papphinweisschilder an der Wand warnen. „Erst letzte Woche hat ein Teenager ein Amulett unauffällig zwischen die Tees gelegt“, erzählt Minerva. Was genau ihr Zauber mit ihm gemacht hat, weiß sie nicht. „Das ist ja bei jedem anders“, sagt sie.

Schwarze Magie betreibt sie nicht. „Wobei die Kategorien schwarze Hexerei und weiße Hexerei viel zu simpel sind“, sagt sie. „Die Wahrheit liegt, wie so oft, in der Mitte.“ Vor drei Wochen sei eine Frau in ihren Laden gekommen, deren Enkel an einem ärztlichen Kunstfehler starb. „Sie wollte, dass ich den Arzt töte“, sagt Minerva. Ihr ging es Tage lang schlecht deshalb, weil die Frau ihr dazu ein Bild des toten Kindes zeigte. „Leben vernichten darf nicht die Aufgabe einer Hexe sein“, sagt Minerva.

Auch in Ritualen abgeschlachtete Katzen lehnt sie deshalb ab. Satanismus habe sowieso nichts mit alten Religionen zu tun, sondern sei eine „kranke Verdrehung“ des Christentums. „Für uns Naturreligiöse gibt es keinen Satan“, sagt sie. Zwar habe es früher ritualisierte Tieropfer gegeben – Dinge, mit denen Hexenglauben heute in erster Linie in Verbindung gebracht werden. „Bei so alter Geschichte muss man immer sehr vorsichtig sein“, sagt Minerva, die sich seit Jahren mit Dortmunder Frühgeschichte beschäftigt. „Vielleicht glaubt man in ein paar tausend Jahren auch vom Christentum, dass dort ritualisiert Menschen umgebracht wurden. Wenn man eine Kirche mit Gräbern rund herum und Jesusfiguren am Kreuz ausgräbt, kann man das ja denken.“

Zu ihrer Religion gefunden hat die gelernte Tierpflegerin durch einen Bücher-Wühltisch. Für damals zwei Mark kaufte sie ein Buch über Naturreligionen. Das war vor fast 20 Jahren. Seit drei Jahren betreibt sie nun einen von deutschlandweit fünf Hexenläden, in denen neben Produkten auch Beratung, Seminare und Rituale angeboten werden – in erster Linie für Frauen. „Generell kann ich nicht mit jedem arbeiten“, sagt Minerva. „Da muss schon mein Gefühl stimmen.“

Das stimmt zumindest bei so vielen, dass Minerva davon leben kann. Trotzdem will sie in ein paar Jahren aufs Land ziehen. „Es ist anstrengend, immer schief angeguckt zu werden“, sagt sie. Ihre drei Kinder hätten in Schule und Kindergarten keine größeren Probleme gehabt. Aber wenn sie für die Spielkameraden Feenmärchen im Laden aufführt, wollen die meisten Berghofener Läden keine Zettel im Fenster hängen haben. Im evangelischen Kindergarten hat der Pfarrer den Zettel sogar wütend zerrissen, erzählt Minerva. „Trotzdem haben sich die Zeiten geändert“, sagt sie. „Das merkt man nicht zuletzt an Harry Potter und an Privatfernsehserien wie Charmed.“ Die seien zwar sachlich oft falsch, transportierten jedoch kein Negativimage mehr. „Die Kinder kennen mehr gute Hexen als schlechte“, sagt Minerva. „Das lässt hoffen.“

www.trudimonia.de