HÖLLENFUNK
: Von elf bis vier

Die Frauenstimme war ziemlich porno

S war für zwei Wochen zu seinen Verwandten in die Türkei gefahren. Deshalb stand diesmal B hinter dem Tresen des Kreuzberger Billardsalons, in dem wir jeden Mittwoch spielten. Es war elf; Roger Whittaker sang „The Streets of London“. Vielleicht heißt der Sänger auch Ralph McTell. Über B weiß ich nicht viel mehr, als dass er sehr gut Snooker spielt. Die Musik war sehr weich. Die Frauenstimme nach dem Stück war auch ziemlich porno. Als jemand sagte, das sei Radio Paradiso, glaubte ich es erst nicht. Es war aber so. Der Wohlfühlsender war sehr schlimm. Ich hatte verdrängt, dass ich einige der Stücke mit zwölf oder dreizehn auch gerne gehört hatte.

Eine weichgespülte Ansammlung von Hintergrundschleim begleitete jedenfalls unseren Billardabend – „Mull Of Kintyre“, „Männer“, „My Lady d’Arbanville“ und andere Scheußlichkeiten. Ich spielte unkonzentriert, gestört von Hintergrundüberlegungen, die davon handelten, wie ich die Möbel in meinem Zimmer besser verrrücken könnte. Ich sagte: „Es gibt Momente, in denen man bedauert, dass es keine RAF mehr gibt“, fand den Satz dann aber doch falsch. Vor zehn oder zwanzig Jahren wäre ich sofort wieder wütend raus- und nach Haus gegangen. Diesmal blieb ich. Dass auch eins meiner Lieblingslieder – „Somethings Gotten Hold On My Heart“ in der Version von Marc Almond und Gene Pitney – in der furchtbaren Schleife des Gottessenders war (die sich um unsere Hälse zuzog), empörte mich fast noch mehr als die anderen Lieder.

Es war eine Frage der Selbstachtung, zu protestieren. Das taten wir auch um vier. B sagte, er wisse nicht, wie man andere Musik einstellt. Die Anlage sei sehr kompliziert. Keine Ahnung, ob er unseren Protest persönlich nahm; er sagte jedenfalls, er hätte noch anderes und spielte dann „Olé, wir fahrn in’n Puff nach Barcelona“ von den Drei Besoffskis. DETLEF KUHLBRODT