„Das Grün leidet als Erstes unter der Finanznot“

BUND-Naturschutzreferent Herbert Lohner hält viele Baumfällungen für überflüssig. Die Pflanzen könnten bei entsprechender Pflege ein wesentlich höheres Alter erreichen und damit der Stadt nützen. Die zuständigen Bezirke würden jedoch aus Kostengründen lieber fällen als reparieren

taz: Herr Lohner, in ganz Berlin sind derzeit Baumstümpfe zu sehen. Täuscht der Eindruck?

Herbert Lohner: Nein. Der Februar ist traditionell der Höhepunkt der Fällsaison. Wenn die Bäume austreiben wie jetzt, wenn es also grün wird, fallen die Wunden besonders auf. Für das städtische Klima sind unnötige Fällungen, die wir immer wieder feststellen, natürlich fatal.

Warum? Die Zahl der Straßenbäume liegt durch Ausgleichspflanzungen seit Jahren konstant.

Die relativ hohe Zahl von fast 420.000 Straßenbäumen in Berlin sagt nichts über ihren ökologischen Wert. Der Großteil der Bäume ist mit fünf bis zehn Jahren relativ jung.

Was ist daran so schlimm?

Sie erreichen nur einen Bruchteil der ökologischen Leistungsfähigkeit eines ausgewachsenen Baumes. Ein Baum übernimmt ja wichtige Aufgaben in der Stadt. Er produziert Sauerstoff, er gibt Schatten, er verdunstet Wasser, sorgt also für eine angenehme Luftfeuchtigkeit. Bäume wirken außerdem wie riesige Staubfilter – seit der Feinstaubdebatte arbeiten viele Unis an entsprechenden Forschungsaufträgen. Fürs Ökosystem ist wichtig, dass Bäume unzähligen Organismengruppen Lebensraum bieten. Auch hier sind alte Bäume besser: In einem dreijährigen Baum werden Sie kein Vogelnest finden. Darüber hinaus sind alte Bäume schlicht ein schöner Anblick.

Wie wichtig ist diese Ästhetik für die Menschen?

Sehr wichtig. Deshalb reagieren AnwohnerInnen auf Baumfällungen oft sehr aufgebracht, plötzlich fehlt etwas ganz Wichtiges. Eine Stadt voller Bäume ist eine schöne Stadt. Leider regiert in den Behörden oft noch der preußische Ordnungssinn. Es gilt der Denkansatz: Was nicht ganz regelmäßig ist, muss weg. Die Bürokraten lassen die Alters- und Sterbephase eines Baums gar nicht mehr zu – dabei bieten gerade morsche Stämme einzigartige Nischen für Vögel, Fledermäuse, Insekten und Pilze.

Sie verlieren aber auch mal morsche Äste. Hat Sicherheit nicht Vorrang?

Es versteht sich von selbst, dass Bäume nicht die Menschen oder den Verkehr gefährden dürfen. Leider entscheiden die Behörden manchmal auch nach fachlich nicht nachvollziehbaren Kriterien. Um Geld zu sparen, werden Bäume oft nicht fachgerecht beschnitten. Stattdessen fällen die Ämter prophylaktisch.

An gesunde Bäume wird die Axt gelegt, weil sie irgendwann mal krank werden könnten?

Genau. Diesen ökologischen Irrsinn beobachten wir häufig. Wenn Teile der Krone absterben, wird lieber gefällt als zu reparieren – auch, um die Pflegekosten zu vermeiden. Dabei könnte ein alter Baum, fachgerecht zurückgeschnitten, noch lange stehen. Die verkleinerte Krone bietet dem Wind viel weniger Angriffsfläche. Denken Sie an die Landschaftsbilder eines Caspar David Friedrich. Herrlich, wie da alte Bäume frisch austreiben. Heute könnte er die nicht mehr malen.

Einen Bezirk, der pleite ist, kümmern Landschaftsbilder wenig.

Tatsächlich leidet das Grün als Erstes unter der Finanznot. Einige Bezirke haben die Grünpflege auch an – häufig die billigsten – private Firmen vergeben oder schicken 1-Euro-Jobber in die Parks. Die Ergebnisse sind entsprechend: Den „Berliner Bürstenschnitt“, bodennah in Linie abgeschnittene Hecken, hat jeder schon mal gesehen. Die Behörden geben unter der Hand übrigens durchaus zu, dass die Ergebnisse manchmal schlimm sind.

Informieren die Bezirke ausreichend über Fällaktionen?

Das ist sehr unterschiedlich. Dies sollte früh erfolgen und auch so, dass die Bürger es wirklich wahrnehmen können. Der Bezirk Mitte zum Beispiel stellt vor jedem größeren Eingriff eine Begründung ins Internet, samt Telefonnummer des zuständigen Mitarbeiters. Das ist sehr transparent, leider aber nicht die Regel. Dabei würde mehr Offenheit auch der Behörde – ganz nebenbei auch dem BUND – viel Arbeit ersparen, weil die Zahl der Bürgerbeschwerden drastisch zurückginge. INTERVIEW: ULRICH SCHULTE