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„France Soir“ im Streik

Der neue Eigentümer will Sex, Crime und Pferdewetten – die Beschäftigten nicht. Also machen sie die Zeitung dicht

Nummer 19.196 ist die vorerst letzte Ausgabe von France Soir. Quer über der Seite 1 steht in roten Lettern „Résistance“ – Widerstand. Die Belegschaft ist im Streik: gegen die Aufkäufer, die mehr als die Hälfte von ihnen entlassen wollen. Und gegen deren Konzept: eine „populäre tägliche Zeitung“ mit Sex, Crime und Pferdewetten. Und ohne Politik, Wirtschaft und Kultur.

Große Schlagzeilen waren schon immer eine Spezialität des von Pierre Lazareff nach dem Ende der deutschen Besatzung gegründeten Blatts. In den besten Zeiten verkaufte es sich täglich mehr als 1,1 Millionen Mal.

Jetzt geht’s bei France Soir ums schiere Überleben. Der Ende der 70er-Jahre begonnene Niedergang hat die tägliche Auflage auf nur noch 35.000 Exemplare reduziert. Die Verschuldung liegt bei 15 Millionen Euro. Und jeden Tag kommen neue Verluste in Höhe von 30.000 Euro hinzu. Seit 2005 lief ein Insolvenzverfahren. Ende letzter Woche wählte das Handelsgericht in Lille einen Immobilienspekulanten als Aufkäufer.

Jean-Pierre Brunois soll den traditionsreichen Titel für 700.000 Euro bekommen. Als Chefredakteur bringt er den Sportjournalisten Olivier Roy mit. Die beiden wollen 60 Festangestellte und 20 freie JournalistInnen auf die Straße setzen. Mit der noch verbleibenden Schrumpfbesetzung von 31 JournalistInnen und 20 Verwaltungsleuten wollen sie die künftige France Soir machen. Ihre Modelle sind Sun und Bild.

Für die Beschäftigten ist das inakzeptabel. Sie sprechen von „Volksverdummung“. Und sind sicher, dass dieses Vorhaben schnell zum totalen Ende von France Soir führt. Aus Protest traten sie schon letzten Mittwoch in den seither täglich verlängerten Streik. Unterbrochen haben sie ihn nur zur Produktion der Sondernummer. Darin beschreiben sie auch die Begegnungen mit ihren neuen Chefs. Journalist Rey erklärte: „Was mich interessiert, sind nicht die Tore, die Juninho in Lyon geschossen hat, sondern ob er bei einer Hure war.“

France Soir hatte während des Niedergangs viele Eigentümer. Jetzt führt das zu einem Aufschrei. Stars wie Alain Delon und Mireille Mathieu unterstützen die Belegschaft. JournalistInnen sowie SprecherInnen sämtlicher Oppositionsparteien ebenfalls. Der Medienforscher Dominique Wolton spricht von düsteren Vorzeichen für die kommenden Krisen in anderen Medien. „Die beiden größten Probleme für kostenpflichtige Zeitungen sind die Gratisblätter und die elektronischen Medien“, erklärt er. Doch die Regierung zeigt der Belegschaft die kalte Schulter. Kulturminister Renaud Donnedieu de Vabres, der gern die „Vielfalt der allgemeinen Presse“ verteidigt, ließ sich bei einem Treffen am Dienstag vertreten.

Außer Brunois hat sich nur der Rüstungsspekulant Arkadi Gaidamak für die Übernahme von France Soir interessiert. Doch dieser wird wegen seiner mutmaßlichen Rolle bei einem Waffenverkauf an Angola gesucht. Gaidamak, dem auch die Zeitung Moscow News gehört, will France Soir mitsamt kompletter Belegschaft übernehmen und die Schulden des Blatts zurückzahlen. Natürlich favorisieren die Betroffenen seinen Vorschlag. Jetzt wollen sie versuchen, den Gerichtsentscheid zu kippen. DOROTHEA HAHN

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