Oh, wie ist das schön!

Die Fußball-WM ist auch ein Festival der Nationalhymnen. Wenn es mit dem Singen nicht klappt, ruft der Staatspräsident schon mal persönlich an. Manchmal gibt es auch eine Schlägerei

VON GUNNAR LEUE

Nationalhymnen sind nicht nur bei Staatsbesuchen traditionell Teil des Protokolls, sondern auch bei Fußball-Länderspielen. Ein Turnier, in dem die besten Mannschaften der Welt antreten, ist insofern auch ein kleines Festival der offiziellen Lieder der Nationen.

„Brüh im Lichte“

Neuerdings hören die deutschen Fans auch bei der eigenen Nationalhymne genauer hin. Speziell seit sie im letzten Jahr feststellen mussten, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Plötzlich hatte sich der Text vom „Lied der Deutschen“ geändert, als Sarah Connor in der neuen Münchner Arena sang: „Brüh im Lichte dieses Glückes“ statt „Blüh im Glanze dieses Glückes“. Wie viele Showideen wurde dieses Fußball-Vorspiel aus Amerika übernommen, wo es schon lange üblich ist, dass Stars die US-Hymne vor bedeutenden Sportwettkämpfen wie dem Super Bowl singen (zuletzt Aretha Franklin).

In Deutschland begann diese Ära mit der Sopranistin Anna Maria Kaufmann, einer gebürtigen Kanadierin, die ihren Karrieredurchbruch 1990 mit „Phantom der Oper“ hatte. Spätestens seit sie im Jahr 2000 durch die musikalische Untermalung für den offiziellen Bewerbungsfilm von Franz Beckenbauer half, die WM 2006 nach Deutschland zu holen, hat sie bei den DFB-Herren einen schweren Stein im Brett. So durfte sie als offizielle Interpretin der deutschen Nationalhymne auch 2002 beim WM-Halbfinalspiel der Deutschen gegen Südkorea in Seoul auftreten.

Dass die DFB-Herren ohne Not von der ausgebildeten Klassikinterpretin auf die poppige Delmenhorsterin umgeschwenkt waren, hatten sie nach deren verkorkster Gesangseinlage offenbar sehr bereut. Jedenfalls gaben sie das Versprechen, ihr beim Länderspiel gegen China letzten Oktober in Hamburg eine zweite Chance zu geben. Stattdessen sang jedoch der Bariton Jan Buchwald. Die klassische Version.

Kaugummi zur Musik

In anderen Ländern ist das Thema Nationalhymne nicht weniger heikel. So hatte sich Russlands Präsident Wladimir Putin während der Europameisterschaft 2004 beim Chef des russischen Olympischen Komitees telefonisch beschwert, weil die Spieler seines Landes während des Abspielens der Hymne Kaugummi gekaut hatten. Seine Forderung nach mehr Patriotismus wurde prompt an die Fußballer durchgestellt. Erst vier Jahre zuvor hatten sich schließlich die Spieler von Spartak Moskau in einem Brief beschwert, dass sie beim Hymnenzeremoniell nie mitsingen könnten: Boris Jelzin hatte die alte sowjetische Hymne durch eine textfreie Melodie des Komponisten Glinka ersetzt. Darauf hin hatte Putin die alte sowjetische Hymne wiedereingeführt, allerdings mit einem neu gedichteten Text.

Eine Nationalhymne kann mehr als nur heiße Debatten auslösen, man weiß dies spätestens seit den Ausschreitungen beim WM-Qualifikationsspiel Türkei gegen Schweiz. Die von Anfang an stark aufgeheizte Atmosphäre im Istanbuler Stadion rechneten die türkischen Offiziellen den Eidgenossen an, weil die türkische Nationalhymne beim Hinspiel von den Schweizer Zuschauern „aufs Schlimmste missachtet“ worden sei. Gemeint war ein großes Pfeifkonzert. Diese Provokation ließ die Fifa zwar nicht als hinreichende Entschuldigung durchgehen und bestrafte die Türken ordentlich, aber der für seine Eintagsüberlegungen berüchtigte Fifa-Boss Blatter schlug sogar vor, auf das Abspielen der Hymnen vor Länderspielen künftig zu verzichten.

Das hatte man einige Monate zuvor in Jerusalem schon mal probiert. Beim Länderspiel Israel–Kroatien warteten die 22 Spieler und alle Zuschauer vergeblich auf die Nationalhymnen. Als keine Töne aus den Lautsprechern erklangen, pfiff der Schiedsrichter die Partie ohne musikalisches Vorspiel an. Schuld war die veraltete Lautsprecheranlage des Stadions. Vollends grotesk geriet die Sache, als in der Halbzeitpause doch noch die hymnischen Töne aus den Lautsprechern krächzten. Der Präsident des israelischen Fußballverbandes entschuldigte sich im Anschluss an das seltsame Zwischenspiel beim kroatischen Botschafter.

Hymnen-Foul

Ist zu wünschen, dass dies den Kroaten erspart bleibt. Übrigens auch ihrem Vorrundengegner Brasilien. Nicht dass sich die Deutschen für ein früheres Hymnen-Foul rächen. Musste sich doch einst der deutsche Bundespräsident beim offiziellen Empfang in Porto Alegre vom örtlichen Polizeiorchester die Nationalhymne der DDR anhören. Wohlgemerkt 1995.