„Uns steht ein Panik-Sommer bevor“

Erdöl wird immer teurer, doch die Weltwirtschaft zeigt sich davon unberührt, sagt die Rohstoffanalystin Sandra Ebner. Trotz des Atom-Konflikts mit dem Iran und der Verknappung der Ölreserven steht uns deshalb keine Ölkrise bevor

taz: Der Ölpreis hat am Dienstag den Rekord von 72 Dollar pro Barrel erreicht. Sind der Nervenkrieg um das iranische Atomprogramm und die anhaltende Gewalt in Nigeria daran schuld – oder wird das Erdöl langsam einfach knapp?

Sandra Ebner: Beides trifft zu. In den letzten Wochen ist die politische Lage eskaliert, und die Angst vor Produktionsausfällen treibt den Preis nach oben. Aber die fundamentale Lage hat sich auch verschlechtert: Die Fördermengen werden kaum ausgeweitet, die Lagerbestände sind geschrumpft, während die Nachfrage insbesondere aus China und den USA weiter steigt.

Auf der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds am Wochenende ist der Ölpreis ein zentrales Thema. Durch mehr Transparenz auf den Märkten soll die Spekulation bekämpft werden. Hilft das?

Die Spekulanten werden immer gerne als die Schuldigen hingestellt, aber sie sind allenfalls für kurzfristige Preisausschläge verantwortlich. Der Preisanstieg der vergangenen Monate hat damit nichts zu tun. Im Gegenteil, viele Spekulanten hatten noch vor kurzem auf fallende Preise gesetzt.

Was kann die internationale Staatengemeinschaft denn dann tun?

In die gesamte Wertschöpfungskette investieren: Förderung, Raffinerien, Pipelines. Momentan hapert es an der gesamten Infrastruktur.

Wird die Opec als Machtfaktor wieder stärker in Erscheinung treten?

Es ist klar, dass die Opec die Zukunft des Ölmarkts ist. Zwei Drittel der Ölreserven liegen im Nahen Osten. Aber die Opec-Länder mussten in den Siebzigerjahren die Erfahrung machen, dass auf ihre Preiserhöhungen eine heftige Gegenreaktion folgte: Die Nachfrage nach Öl ist eingebrochen. Diesmal werden sie vorsichtiger sein.

Manchmal scheint es sogar so, als würde Saudi-Arabien die Lage schönreden und übertrieben hohe Ölreserven angeben.

Man weiß nicht, wie es wirklich um die Reserven steht. Den Daten der Opec zufolge sind die Reserven seit 20 Jahren stabil. Dabei wurde in dieser Zeit doch sehr viel Öl gefördert. Es sind aber vor allem andere Länder, die immer wieder enttäuschen, beispielsweise die Nordseeanrainer und die USA, wo die Fördermengen schneller abfallen als erwartet.

Der Ölpreis steigt also immer weiter, aber die Weltwirtschaft dürfte dieses Jahr ungerührt um fast 5 Prozent wachsen. Wieso erleben wir keine Ölkrise wie in den Siebzigern?

Damals kamen zum hohen Ölpreis eine sehr hohe Inflation und hohe Zinsen. Die Industrie war viel stärker vom Öl abhängig als jetzt. Heute ist der Anteil der Rohstoffpreise am Endprodukt niedriger. Die höheren Ölpreise schlagen sich deswegen und wegen des stärkeren Wettbewerbs kaum in höheren Verbraucherpreisen nieder. Daher müssen auch die Zentralbanken nicht mit höheren Zinsen reagieren.

Aber wenn die Leute immer mehr Geld an den Tankstellen lassen müssen, haben sie weniger Geld für andere Ausgaben. Die Nachfrage bricht ein und damit auch die Konjunktur.

Bis es wirklich wehtut, können die Ölpreise vermutlich noch deutlich anziehen. Als der Preis auf die 40 Dollar pro Barrel zuging, hieß es schon, die Situation könnte kippen. Inzwischen sind wir bei 70 Dollar, und es ist immer noch nichts passiert. Wenn der Ölpreis auf 80 Dollar das Barrel steigt, was im Sommer durchaus der Fall sein kann, dann wird vielleicht eine gewisse Panik einsetzen. Bei dieser Marke wäre das Öl gemessen an der Kaufkraft wieder so teuer wie Ende der Siebzigerjahre. Kippen dürfte die Konjunktur allerdings nur, wenn zum hohen Ölpreis noch andere negative Faktoren hinzukommen, beispielsweise ein Ende des Immobilienbooms in den USA.

Wo wird der Ölpreis bis Ende des Jahres angelangt sein?

Im Herbst erwarte ich eine deutliche Entspannung, wenn sich der Iran-Konflikt nicht noch zuspitzt. Denn irgendwann setzt die Sorge ein, dass die Nachfrage nach Öl stark zurückgeht. Durch die daraus resultierende Gegenspekulation kann der Preis durchaus um 10 bis 15 Dollar fallen. Dieser Effekt dürfte aber von kurzer Dauer sein. Nach ein paar Monaten wird es wieder weiter aufwärts gehen.

Nun noch eine langfristige Prognose: Werden wir 2050 immer noch vom Öl abhängig sein? Wird es dann überhaupt noch Öl geben?

Wenn die Preise weit genug steigen, reagiert auch die Nachfrage. Dann reichen die Reserven entsprechend länger, nichtkonventionelle Vorkommen wie Ölsande und Ölschiefer werden erschlossen, und die Preise fallen wieder. Bislang hat sich Angebot und Nachfrage bei einem gewissen Niveau immer wieder eingependelt. Schon vor 60 Jahren hieß es, Erdöl reicht nur noch 10 Jahre. Solche Prognosen sind eigentlich müßig.

FRAGEN: NICOLA LIEBERT