KURZKRITIK: „DER NACKTE WAHNSINN“ AM THALIA THEATER
: Weitergedreht

Ein Wohnzimmer mit Wählscheiben-Telefon in Orange. Vier Türen gehen ab. Eine Treppe führt auf eine Balustrade, von der noch mal drei Türen abgehen. Alles ist aus Holzplatten zusammengezimmert. Es ist ein ärmliche Kulisse, in der sich sechs Schauspieler mit der Generalprobe eines Boulevardstücks abkämpfen. In ein paar Stunden ist Premiere und nichts funktioniert.

Das ist die Ausgangssituation des Stückes „Der nackte Wahnsinn“, das Regisseur Luk Perceval am Thalia Theater inszeniert hat. Das verdammt gute Ensemble des Thalia-Theaters spielt ein verdammt schlechtes Ensemble eines Boulevardtheaters mit den Mitteln des Boulevards: Es gibt viel Slapstick, die Figuren sind Karikaturen, ihr Stück ist eine türenschlagende Sex-Klamotte und die Art der Umsetzung ist so hanebüchen, dass sich das Publikum im Thalia totlacht. Pause.

Nach der Pause wird die Bühne umgedreht und das Publikum verfolgt mit, was Wochen später während einer der Aufführungen hinter der Bühne passiert. Der Regisseur versucht seine Affären mit der Regieassistentin und einer Schauspielerin zu koordinieren, zugleich muss die Show weiterlaufen. Jetzt zeigen die Thalia-Schauspieler eine handwerklich meisterhafte Choreografie der genau getakteten Abläufe.

Noch einmal wird die Bühne gedreht, noch einmal wird in der Zeit gesprungen. Das Ensemble hat das Stück nun x-mal wiederholt und dreht durch. Die Darbietung zerfällt im Chaos und dem Thalia-Publikum wird es langsam zu viel mit all den Leuten, die ausrutschen.

Der Klamauk kippt ins Unangenehme und die Schauspieler werden gezeigt als getriebene Menschen, die weitermachen, egal was passiert. Diese Melancholie des Haltlosen rettet den Abend davor, bei einer handwerklich perfekten Boulevard-Parodie hängen zu bleiben.  KLAUS IRLER

Nächste Aufführungen: 8., 11. und 26. 10., jeweils 20 Uhr