„Den musst du machen!“

TISCHTENNIS In Österreich kämpfen gerade die Besten Europas um Medaillen. Doch wie gut sind die Cracks wirklich? Ein Selbstversuch des taz-Experten

■ Gut liefen die ersten Tage Europameisterschaft im österreichischen Schwechat für die deutschen Teams: Sowohl Frauen als auch Männer erreichten die Halbfinals und haben damit Bronzemedaillen bereits sicher. Vor allem die Frauen überraschten mit einem 3:0 im Viertelfinale gegen die Gastgeberinnen. „Wir sind glücklich über die Medaille, aber damit noch längst nicht zufrieden“, ließ Abwehrspielerin Han Ying wissen. Die gebürtige Chinesin bestritt gegen Österreich ihr erstes Länderspiel für den DTTB. Das ebenso souveräne 3:0 der Männer gegen Frankreich schien dagegen nur ein Etappenerfolg zu sein auf dem Weg zu einem – trotz der Abwesenheit des Rekordeuropameisters Timo Boll – allseits erwarteten Titel. Am Sonntag (nach Redaktionsschluss) spielten die Frauen gegen Tschechien und die Männer um Dimitrij Ovtcharov gegen Russland um den Einzug in die Endspiele am heutigen Montag (16.30 bzw. 20 Uhr, Live-Stream auf www.laola1.tv).

VON HARTMUT METZ

0:7. Jörg Roßkopf weiß: Jetzt wird’s eng für mich gegen den Weltranglistensechsten Dimitrij Ovtcharov. „Auszeit!“, ruft der Tischtennis-Bundestrainer und stellt das Zählgerät mit dem deprimierenden Zwischenstand beiseite. Beratungspause. „Der Aufschlag war gut. Mach den noch mal“, empfiehlt Roßkopf. Mach ich. Ovtcharov kann den Ball nicht ganz so fies zurückschlagen wie zuvor, ich hole blitzschnell aus und mein mächtiger Vorhand-Topspin schlägt ein. Punktgewinn! Der Kreisliga-Recke, der ich bin, bejubelt das 1:7, als wäre er gerade Weltmeister geworden. Die 0:11-Blamage im Testspiel während des Düsseldorfer Vorbereitungslagers der deutschen Tischtennis-Nationalmannschaft auf die Europameisterschaft im österreichischen Schwechat ist schon mal vermieden. Der Satz läuft noch und ich bin dran an EM-Topfavorit Ovtcharov.

Für den Weltranglistensechsten kommt ein letzter ernsthafter Leistungstest gegen mich genau richtig, um zu beweisen, dass er auf dem Alten Kontinent wirklich der Beste ist. Denn während Rekordchampion Timo Boll grippegeschwächt die EM hat absagen müssen, bin ich mit zwei Siegen in der Kreisklasse A in die Saison gestartet. Trotzdem gibt mir der Bundestrainer vor der auf einen Gewinnsatz angesetzten Partie gegen Ovtcharov Ratschläge. „Dima ist bei seinen Aufschlägen ziemlich dominant. Deshalb musst du dich voll auf deine konzentrieren“, meint Roßkopf, „leg die Aufschläge kurz in seine Vorhand.“

Das Spiel beginnt allerdings mit Aufschlag Ovtcharov. Auf wundersame Weise bringe ich die erste kurze Angabe zurück und der dreifache Olympia-Medaillengewinner ist sichtlich überrascht. Ovtcharov legt den Ball hoch, ich hämmere das Zelluloid mit aller Kraft über das Netz – und über die Platte hinaus. „Das war die Chance deines Lebens, den musst du machen!“, befindet Roßkopf und klappt das Täfelchen mit der „1“ auf dem Zählgerät für Ovtcharov herum. Sechs weitere Täfelchen folgen ungerührt.

Ovtcharovs Angaben fürchten selbst die Chinesen. Seine Rückhand-Aufschläge kürte das Time Magazine 2008 sogar zu den 50 besten Erfindungen des Jahres. Was die Amerikaner ignorierten: Die hatte ich in der Kreisklasse A bereits eingeführt, als der heute 25-jährige Ovtcharov noch in den Windeln lag. Meine Rückhand-Aufschläge und mein Vorhand-Topspin gelten in der viertuntersten der 14 deutschen Tischtennis-Ligen als mörderische Kombination. Bis zu Ovtcharov hat sich diese Stärke der Nummer 34.567 in Deutschland aber offensichtlich nicht herumgesprochen. Die deutsche Nummer zwei spielt meine Aufschläge wenig beeindruckt zurück. Immerhin habe ich durch eine ausgedehnte Handtuch-Pause nach dem 0:6 die Spieldauer nun bereits auf über zwei Minuten treiben können. Ein Teilerfolg.

Dann der Jubel beim 1:7. Anschließend gönne ich Ovtcharov zwei weitere Punkte, man man will die jungen Leute vor der wichtigen EM ja nicht demotivieren. Doch meine riskante Spielweise, sich erst gar nicht auf längere Ballwechsel einzulassen und stattdessen auf jeden verfügbaren Ball voll draufzugehen, trägt Früchte: Meine fulminante Vorhand punktet ein zweites Mal. Beim Stand von 2:10 lädt mich Ovtcharov mit einem hohen Abwehrball freundlich zum Angriff ein: Ich versenke einen Schmetterball zum dritten Zähler in seine tiefe Vorhand. Seit der Auszeit läuft es wie geschmiert. Zum Abschluss lässt mich Ovtcharov jedoch wie eine Oma aussehen, als der gebürtige Ukrainer seinen Aufschlag millimetergenau die Vorhandlinie entlangzirkelt, während ich staunend von der Rückhandseite aus hinterherglotze. „Netzangabe“, ergreift Roßkopf geistesgegenwärtig auf dem Schiedsrichterstuhl Partei, der Aufschlag muss wiederholt werden. Ovtcharov veräppelt mich noch einmal mit demselben Aufschlag.

Endstand: 3:11. „Du musst noch ein bisschen üben“, tröstet der Bundestrainer. Mein Aufschlag sei „nicht schlecht. Du bist etwas zu aggressiv in die Bälle reingegangen. Du musst mehr Sicherheit reinbringen“, rät Roßkopf. Für eine Nachnominierung als Ersatz für Timo Boll komme ich trotzdem nicht infrage. „Du hättest mehr Punkte geholt, wenn du nur 70 statt 120 Prozent spielst“, glaubt Ovtcharov und vergleicht unser Spielchen schmeichelhafterweise mit seinem Match gegen den Weltranglistenersten aus China: „Bei der WM gegen Ma Long ging mir das genauso. Ich wollte immer voll drauf, anstatt mal 80 Prozent zu spielen.“ Roßkopf blickt deshalb mit einem breiten Lachen in meine schillernde Zukunft: „Bis Olympia 2016 in Rio kann es reichen!“