: Aufbauen und Abhängen
Mit der Zwischennutzung leer stehender Gelände befasst sich eine Studentin in ihrer Diplomarbeit – und in der Praxis: Für einen Sommer verwandelt sie ein ehemaliges Freibad in einen Zeltplatz
VON SILKE KOHLMANN
Durch die Schwimmbecken ziehen sich Risse, die blaue Farbe der Kacheln ist verblasst, altes Laub und Müll bedecken den Boden. Auf den Betontribünen wuchert das Unkraut. Auch die Metallleiter des ehemaligen Sprungturms ist brüchig. Dieses Areal soll die Schlafstätte mehrerer tausend Berlinbesucher in diesem Sommer werden. Das einstige Sommerbad Poststadion in Moabit wird zum Campingplatz umfunktioniert. Wo sich früher Badegäste bräunten, werden Zelte Platz finden, wo Schwimmer ihre Bahnen zogen, wird im Sommer Fußball und Volleyball gespielt.
Mitte Mai soll die „Tentstation“ eröffnet werden. Der Zeltplatz liegt nur wenige Gehminuten vom neuen Hauptbahnhof. Das klingt nach einer Idee mit Potenzial. Doch das Projekt ist auf einen Sommer begrenzt.
„Ich sehe das als Experiment“, sagt Betreiberin Sarah Oßwald – und als eine Art wissenschaftliches Praktikum. Die Zwischennutzung leer stehender Häuser und Gelände war zunächst nur das Thema ihrer Diplomarbeit. Doch die Geografiestudentin wollte sich nicht nur theoretisch mit kreativen Milieus beschäftigen. Sie beschloss, ihre Idee vom urbanen Camping erst mal praktisch umzusetzen. In ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main fand sie kein Gelände für ihren Traum vom innerstädtischen Zelten. „So was ist nur in Berlin möglich“, sagt sie. „Ich habe bei der Zwischennutzungsagentur in Berlin angerufen und von diesem Gelände eines alten Freibads erfahren.“ Vom Liegenschaftsfonds Berlin mietete die Studentin schließlich das landeseigene Bad für ein Jahr. „Ich finde, Zwischennutzung ist in Zeiten von Leerstand eine hervorragende Idee“, sagt sie.
„Schön ist auch, dass neue Akteure ins Spiel kommen“, ergänzt Oßwald. Für ihre Idee konnte sie die Politologin und Reisefreundin Jessica Zeller begeistern. Die beiden kennen sich schon seit zehn Jahren. Als Mitstreiter gewann Oßwald auch die beiden Architekten Petr Barth und Bernd Häußler. Alle drei haben zwar Jobs, aber auch sie treibt die Idee der „Tentstation“ täglich zur Arbeit ins alte Freibad. Oßwald verbringt bereits seit einem Monat ihre Tage auf dem Gelände.
Da es zurzeit weder Miet- noch Kaufinteressenten für das Areal gibt, können Oßwald und ihr Team einen Sommer lang Campingflair ins Schwimmbad zaubern. „Die Stadt Berlin hat die Zwischennutzung für sich entdeckt“, freut sich die Studentin über den positiven Ausgang ihrer Anstrengung. „Wir setzen ja auch ganz viel wieder instand, und das Gelände kommt wieder ins Gespräch.“
Finanziell unterstützt wird das Engagement jedoch nicht. „Es ist natürlich ein Risiko, keine Bank finanziert uns“, erklärt Oßwald. Über 50.000 Euro benötigen die vier jungen Privatunternehmer zur Finanzierung der „Tentstation“ – sie wurden aus privaten Ersparnissen und familiären Spenden zusammengebracht. Die größten Kosten verursacht die Instandsetzung von Gebäuden und Becken. „Vier Jahre lag das Bad still“, erzählt Oßwald, „besondere Probleme machen uns die Frostschäden.“
Viele Arbeiten erledigen die vier jungen Leute selbst. Die beiden Architekten im Team kennen sich aus. Freunde helfen beim Bau von Treppen, beim Ziehen von Zäunen, beim Verlegen eines Holzbodens im ehemaligen Schwimmbecken.
Großen Wert legen die Zwischennutzer auf die Verwendung vorhandener Materialien. Ein mit Sand und Wasser gefülltes Becken soll Strandflair schaffen, breite Treppen werden den Blick auf eine Leinwand freigeben – neben Fußball sind Filme aus und über Berlin geplant.
Doch all das wird nur einen Sommer lang bestehen. „Alles was wir bauen, müssen wir im Herbst wieder abbauen“, sagt Oßwald. Die 27-Jährige wird wehmütig, noch bevor es richtig losgeht. „Es ist eben nur etwas Temporäres. Trotzdem strebt jeder Zwischennutzer natürlich nach etwas Längerfristigem.“ Immerhin wird sie im Herbst wieder Zeit finden, ihre Diplomarbeit zu beenden.
Im Moment herrscht aber die Vorfreude vor. Über 1.000 Anmeldungen sind bereits eingegangen. 10 Euro kostet eine Übernachtung, während der WM müssen die Gäste pro Nacht 5 Euro mehr hinlegen. Kinder unter zwölf zahlen nichts.
Sarah Oßwald setzt nicht nur auf die Gäste von außerhalb, auch Berliner sind willkommen. „Hier können finnische Fußballfans mit Berlinern in Kontakt kommen“, hofft die Campingplatzmutter.