„China bleibt den USA ein Rätsel“

Die Vereinigten Staaten wissen nicht wirklich, wie sie mit dem Aufstieg Chinas zur Wirtschaftsmacht umgehen sollen. Peking möchte kooperieren. Washington fürchtet China aber auch als Konkurrenz, sagt der Soziologe Suisheng Zhao

taz: Dem ersten Besuch von Chinas Staatspräsident Hu Jintao in den USA wird große Bedeutung zugemessen. Von der Aufwertung des Yuan über Iran bis hin zu Energiefragen – die Bush-Administration hat einen umfangreichen Katalog an Wünschen und Forderungen. Was will China von den USA?

Suisheng Zhao: Peking möchte in erster Linie die Kooperationszusage der USA in der Taiwanfrage. Man will sicherstellen, dass Taiwans Unabhängigkeit nicht außer Kontrolle gerät und dass die Insel nicht als Zankapfel in die sino-amerikanischen Beziehungen reinspielt. Peking wird aber auch diesmal nicht weit damit kommen, da sind die USA sehr konsequent. Ein andere Frage sind die regionalen Kooperationen im Asien-Pazifik-Raum. Man will, dass die USA China da nicht mehr in erster Linie als Konkurrenz wahrnimmt. Peking möchte, dass seine US-Beziehungen in Washington in eine breitere geostrategische Perspektive eingebettet werden.

Haben die USA denn überhaupt eine klare Vorstellung davon, was sie mit China anfangen wollen?

Nicht wirklich. Als George Bush ins Amt kam, bezeichnete er China erst einmal als strategische Konkurrenz statt als Kooperationspartner. Bush bekräftige zudem die US-Politik der Taiwan-Doktrin, nach der die USA die Freiheit Taiwans unter allen Umständen verteidigen wollen. Nach dem 11. September 2001 wechselte Bush den Kurs und nannte die Beziehung zu China konstruktive Partnerschaft. Daher muss man sagen, dass die US-China-Politik unter Bush eher situativ denn konsequent ist.

Hat denn umgekehrt die Volksrepublik China eine Vorstellung davon, wie sie mit den USA umgehen will?

Ich denke, Chinas Außenpolitik ist beständiger, weil die USA für Chinas Modernisierung und Aufstieg zur Großmacht eine Schlüsselrolle spielen. China braucht die USA. Peking versucht daher beständig, Konfrontationen mit Washington zu vermeiden.

China rüstet im zweistelligen Prozentbereich auf und besteht darauf, dass Taiwan eine Provinz der Volksrepublik sei. Darin mögen Politiker in Washington und auch in Europa nicht nur freundliche Kooperationsabsichten erkennen.

Lassen Sie mich noch mal auf die chinesische Perspektive zurückkommen. China ist zum einen besorgt, was die Ideologen in Washington vorhaben, die die Volksrepublik immer noch als eine kommunistische Macht ansehen. Peking hat Angst, dass die USA die Menschenrechtsfrage, die Verfolgung der Sekte Falun Gong und politische Dissidenten dazu benutzen wollen, um die Regierung damit zu konfrontieren. Die zweite Sorge Pekings ist der strukturelle Konflikt um China als eine aufstrebende Großmacht. Viele Chinesen vermuten, die USA werden alles tun, um Chinas Aufstieg als gleichberechtigte Macht zu verhindern – oder eben die Demokratiefrage instrumentalisieren, um China am Katzentisch zu halten.

Die USA haben stets gefordert, China müsse international mehr Verantwortung übernehmen. Gleichzeitig wird China zunehmend als Konkurrenz im Handel und auf den Energiemärkten gesehen. Eiert die USA zwischen diesen beiden Interpretationen herum?

Genau das tut sie. Die USA sind sich im Unklaren darüber, wie sie mit Chinas Aufstieg umgehen sollen. Das ist in Washington eine äußerst polarisierende Frage, daher bedient die US-Außenpolitik mal die eine, mal die andere Seite. Gegenwärtig überwiegen in Washington die Sorgen um die Energiemärkte, die Waffenproliferation und die unterbewertete chinesische Währung und das damit verbundene gigantische Handelsbilanzdefizit.

Dabei brauchen sich beide Staaten doch gegenseitig.

In den ersten beiden Jahren der Bush-Präsidentschaft wurde wichtige Zeit verloren. Seitdem braucht die USA tatsächlich Chinas Kooperation in ihrem globalen Krieg gegen den Terror und bei zahlreichen anderen strategischen Angelegenheiten wie zum Beispiel Nordkorea. Hier ist Washington ganz auf China angewiesen, um die Sechs-Parteien-Gespräche mit Pjöngjang und Seoul wieder zum Laufen bringen zu können – und ist mit Chinas Zurückhaltung im letzten Jahr unzufrieden.

Obwohl es keine gemeinsame Chinapolitik der EU gibt – sehen Sie Unterschiede in der europäischen Herangehensweise an die Volksrepublik?

Eindeutig. Die Europäer sind kooperativer und haben stets mehr die wirtschaftlichen Beziehungen betont, das hat beiden Seiten viel gebracht. Außerdem gibt es in den sino-europäischen Beziehungen keine Konflikte um den Umgang mit Taiwan.

Ein wichtiges Thema des Besuchs ist natürlich der Iran. Die USA möchten, dass China sich der westlichen Strategie anschließt und aufhört, sich als Teherans diplomatische Schutzmacht zu gerieren. Werden sich Hu und Bush aufeinander zubewegen?

China, das intensiven Öl- und Waffenhandel mit dem Iran treibt, möchte nicht, dass gegen den Iran Sanktionen verhängt werden, wie es bislang Washington bevorzugt. Diese Frage wird sehr kompliziert werden, weil Hu versuchen wird, Bush davon zu überzeugen, dass die USA mehr Geduld mit dem Iran aufbringen muss. Ich glaube aber nicht, dass bei diesem Besuch eine gemeinsame Iran-Strategie herauskommen wird. Dazu sind die Vorstellungen beiderseits wohl noch zu unterschiedlich. FRAGEN:
ADRIENNE WOLTERSDORF