„Wir machen Matratzen aus Kohlendioxid“

TECHNIK Der Klimakiller CO2 ist ein vielseitig verwendbarer Rohstoff, wenn man die richtigen Verfahren zur Herstellung entwickelt, sagt der Physiker Michael Carus. Vorbild für die Nutzung sind Pflanzen

■ Diplomphysiker, ist Gründer und Geschäftsführer der nova-Institut GmbH bei Köln. Er berät im Bereich bio- und CO2-basierter Ökonomie Institutionen und Unternehmen.

taz: Herr Carus, Kohlendioxid (CO 2 ) ist für viele ein Klimakiller. Für Sie ist es ein faszinierender Grundstoff. Was ist das Tolle an CO 2 ?

Michael Carus: Zunächst ist Kohlendioxid tatsächlich das tote Endprodukt einer Verbrennung. Aber wenn man es wieder mit Energie auflädt, zum Beispiel mithilfe der erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne, kann man es zur Gewinnung von Kraftstoffen oder Grundstoffen der Chemieindustrie nutzen. Die Pflanzen tun übrigens dasselbe: Sie produzieren Biomasse aus Kohlendioxid, Wasser und Sonnenlicht.

Wo nutzt man das bereits?

Zum Beispiel bei der Erzeugung von Methan-Gas durch überschüssige Wind- und Solarenergie. In Deutschland haben wir schon acht solcher Anlagen. Mithilfe der Windenergie wird dabei Wasserstoff gewonnen, und aus Wasserstoff entsteht mithilfe des Kohlendioxids, beispielsweise in Biogasanlagen, Methan, das als Energieträger in das Erdgasnetz eingespeist wird.

Wie sieht es mit der stofflichen Verwendung aus?

In Dormagen in Nordrhein-Westfalen wird bereits eine Anlage gebaut, in der aus Kohlendioxid Polyurethane hergestellt werden. So macht man aus CO2 Schaumstoffmatratzen. Letztlich ließen sich aus CO2 jede Mengen Stoffe herstellen – sogar Zucker. Die derzeitigen Verwendungen von Kohlendioxid, etwa als Kühlmittel in Klimaanlagen oder als Zusatz in Erfrischungsgetränken, sind nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was möglich ist.

Wie weit gehen Ihre Visionen?

Wenn es gelingt, das CO2 aus der Atmosphäre kostengünstig zu gewinnen, ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Man könnte an jedem Ort der Welt aus Kohlendioxid, Wasser und Solarenergie Kraftstoffe und Chemiebausteine herstellen. Eine Vision: Leere Tanker fahren hinaus aufs Meer. Dort, mitten auf dem Ozean, produzieren sie aus Meerwasser, Kohlendioxid und Sonnenenergie Methanol – und kommen so mit einem vollen, nutzbaren Tank zurück. In Island wird dieses Verfahren bereits praktiziert, allerdings nicht mithilfe der Solarenergie, sondern durch die Geothermie. CO2 ist für uns auf der Erde praktisch eine unendliche Kohlenstoffressource.

Was halten Sie von der Kohlendioxid-Abscheidung und -Einlagerung in tiefen Erdschichten, also die CCS-Technik?

■ Kohlendioxid ist mehr als nur ein klimaschädliches Gas. Es kann der Grundstoff für die chemische Industrie und für Kraftstoffe sein, mit denen erneuerbare Energien wie Wind und Sonne gespeichert werden. Vom 7. bis zum 9. Oktober findet im Haus der Technik in Essen in Nordrhein-Westfalen die zweite CO2-Konferenz statt. Nach Angaben der Organisatoren ist dies in diesem Jahr die weltweit größte Veranstaltung, die sich dem Thema der Abscheidung und Nutzung von Kohlendioxid verschrieben hat. Die ganz unterschiedlichen Themen sind etwa die Energiegewinnung durch künstliche Fotosynthese, die Notwendigkeit von Nachhaltigkeitszertifizierungen für CO2-basierte Kraftstoffe oder die Herstellung von Kunststofffasern aus CO2. Mehr als 300 Experten aus Industrie und Wissenschaft werden erwartet. Schirmherrin der Veranstaltung ist NRW-Forschungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Das ist, zumindest im zweiten Teil, der falsche Weg. Wir wollen das CO2 ja nutzen – und nicht viel Geld dafür ausgeben, es zu bunkern. Techniken zu entwickeln, das CO2, das bei der Verbrennung von Kohle in Kraftwerken entsteht, abzuscheiden und industriell zu nutzen, ist dagegen sehr sinnvoll.

Warum wird Kohlendioxid noch nicht umfänglich genutzt?

Viele Techniken sind heute noch nicht ökonomisch selbsttragend. Sie zu entwickeln, braucht man also eine spezielle Förderung – ähnlich wie es bei der Entwicklung von Solarzellen war. Deutschland kann dabei eine Vorreiterrolle spielen, denn erneuerbare Energien, die genutzt werden wollen, stehen hier bei bestimmten Wetterlagen zeitweise im Überfluss zur Verfügung. INTERVIEW: RICHARD ROTHER