„Gesetze nicht unbedingt gut“

Einzeller für die einen, Abschiebung für die anderen: Am traditionellen türkischen Kindertag in der Bürgerschaft mussten die Abgeordneten gestern auch sehr schwierige Antworten geben

von Anna Teweler

Vor dem Rathaus warten hundert schick gekleidete Kinder. Als sie hinein dürfen, setzt schüchternes Gedrängel in der Tür des Plenarsaals ein. Der rote Teppich und der Prunk des Gebäudes scheinen die Besucher befangen zu machen. Ein Glöckchen bimmelt. Das Kippeln auf den weichen Klappsesseln der Bürgerschaftsabgeordneten hört auf.

Dort sitzt eine Delegation von Hamburger Kindern mit türkischen Eltern: Es ist der traditionelle türkische Kindertag. 1920 wurde der von Kemal Atatürk eingeführt, Kinder und Erwachsene tauschen an diesem Tag die Rollen. Doch noch darf mit Bürgerschaftspräsident Berndt Röder ein Erwachsener sprechen. Es ist ein bisschen wie im Theater: erst gespannte Ruhe und schließlich Röders Stimme im Kasperle-Tonfall. Dann aber muss er Wort, Glocke und Stuhl an die Kinderpräsidentin Gülcan Yilmaz abgeben.

Erst recken sich nur zögerlich Finger nach oben, aber dann wollen so viele Kinder ihre Fragen loswerden, dass der türkische Fernsehmoderator Bedo gar nicht allen das Wort erteilen kann: Wie viele Tage es gedauert habe, bis das Rathaus fertig war, will jemand wissen. Wem die Stadt am meisten gehöre, ob es eine Ortsumgehung für Finkenwerder geben werde. „Ich wohne nämlich auch da“, sagt die elfjährige Anna, „und es ist laut.“

Um Fragen der acht- bis zwölfjährigen Schüler zu beantworten, haben nun die Fraktionsabgeordneten Bettina Machaczek (CDU), Aydan Özoguz (SPD) und Nebahat Güclü (GAL) gegenüber den Kindern Platz genommen. Bereitwillig und bemüht geben die drei Politikerinnen Auskunft: „Woher kommen die Tiere?“, will da ein achtjähriges Mädchen wissen. Güclü verweist auf den Biologie-Unterricht, erklärt dann aber doch, was es mit Ein- und Mehrzellern auf sich hat. Dann fragt ein Junge, wie die CDU entstanden sei. „Hier sind ja heute nicht so viele Christen“, antwortet die Christdemokratin Machaczek, „aber die CDU ist aus den christlichen Werten entstanden.“

Irgendwo in den mittleren Reihen sitzt ein Mädchen, das einen weißen Pulli mit Glanzaufschrift trägt und einen ordentlichen Pferdeschwanz. „Warum werden Kinder abgeschoben?“, fragt sie. Das sei eine schwierige Frage, bekommt die zwölfjährige Cansu zur Antwort. Wie die dreizehnjährige Yesim, die neben ihr sitzt, ist auch Cansu von der Abschiebung bedroht. „Das ist hochpolitisch“, meint die SPD-Abgeordnete Aydan Özoguz, „und nicht leicht zu beantworten.“ Nebahat Güclü (GAL), die die beiden Mädchen persönlich eingeladen hat, versucht es noch einmal genauer zu erklären: „Man braucht eine Aufenthaltsgenehmigung, das ist dieses Ding, mit dem man hier leben darf. Und wenn man das nicht hat und plötzlich jemanden nervt, obwohl man schon lange hier wohnt, dann muss man gehen.“ Und fügt hinzu: „Gesetze sind nicht unbedingt gut, nur weil sie Gesetze sind.“