Höhere Mathematik

PSYCHEDELIC POP Dan Snaith alias „Caribou“ hat das beste aus seinen Mathe-Skills gemacht: einen komplexen Elektro-Pop-Sound, der trotz aller Finessen leicht ins Ohr geht

Spannend wird es erst, wenn der Abstraktionsgrad steigt. Dann wird Mathe nämlich erfinderisch

VON ROBERT MATTHIES

Dass Mathematik und Musik untrennbar miteinander in Verbindung stehen, wusste dereinst ja schon der alte Pythagoras. Ob Keplers Sphärenmusik, Eulers Konsonanzgrade, die chromatische Tonleiter oder der würfelspielende Mozart – im Grunde ist Musik nichts anderes als verzeitlichte und hörbar gemachte Mathematik, eine akustische Version von Zahlenspielen.

Wie aber „überkonvergente Siegel-Modular-Symbole“ sich in Musik übersetzen lassen, das entzieht sich wohl doch dem Verständnis der meisten. Und auch Daniel Snaith, seines Zeichens Elektronik-Musiker, Mathematik-Professor-Sohn, Mathematikerinnen-Bruder, selbst Mathematiker und zudem Verfasser jener Doktorarbeit über die vom deutschen Nummerntheoretiker Carl Ludwig Siegel entdeckten automorphen Formen, verschlägt es die Sprache: „Ich wünschte, ich könnte das erklären. Aber ich kann es nicht.“

Dabei ist Snaiths Zugang zur Musik sogar, nun ja, unkontaminiert geblieben. Will sagen: ohne jeglichen Ballast durch Kontext und Szenen. Die Kultur um die Musik herum – „Emerson, Lake and Palmer“, „The Orb“ oder „The Chemical Brothers“ –, die ist einfach nie bis nach Dundas, Ontario gekommen.

Aber wenn der Prophet nicht zum Berg kommt … Auf einem Festival im englischen Bristol, wo er für die HP Laboratories mit Zahlen gespielt hat, lernte der mittlerweile in London Lebende jedenfalls eines Tages den experimentellen Elektronik-Musiker Kieran Hebden alias „Four Tet“ kennen. Der spielte nämlich gerade ein Mathe-Spiel – der Beginn einer verlässlichen Freundschaft.

Und Snaith begann schließlich, seine eigene Musik aufzunehmen, als „Manitoba“. 2000 erschien das Debütalbum „Start Breaking My Heart“ mit warm-maschinellem Elektropop, später wird die Liebe zum „Big Beat“ deutlich, dann geht es Richtung Elektro-Psychedelik. Da nannte sich der heute 32-jährige Kanadier längst „Caribou“: 2003 wurde ihm sein ursprünglicher Künstlername gerichtlich untersagt – Richard Blum von den US-Rockern „The Dictators“ sah eine zu große Ähnlichkeit zum eigenen Stage-Namen: „Roadie Handsome Dick Manitoba“. Nun ja.

Großes Aufsehen erregte „Caribou“ jedenfalls vor drei Jahren mit dem Album „Andorra“. Drei Jahre lang hatte er jeden Tag zehn Stunden Musik aufgenommen, insgesamt 670 Skizzen für Tracks. Nicht verwunderlich, dass das Ergebnis in puncto Detailreichtum und psychedelischer Konzentration seinesgleichen sucht. Ein Jahr später gab es dafür denn auch den renommierten kanadischen Musikpreis „Polaris“.

Seitdem war lange Zeit nichts vom Mathe-Musiker zu hören. Mit „Swim“ hat „Caribou“ nun ein neues Album vorgelegt. Im Gegensatz zum maschinellen Anfang hat Snaith darauf alles verflüssigt. Aber anders kann ein Sprung in alle Richtungen gleichzeitig auch nicht glücken. Und so fließt „Swim“ vorwärts und zurück, bis einem schwindelig wird: übergeschwappter, blubbernder, technoider Free Jazz-Pop.

Und letztlich auch eine mathematische Aussage: spannend wird es erst, wenn der Abstraktionsgrad steigt. Dann wird Mathe nämlich erfinderisch. Und im Sinne Diracs schön: Man staunt, wie die Dinge zusammenpassen.

■ Do, 29. 4., 21 Uhr, Prinzenbar, Kastanienallee 20