Reinste Hingabe

Der Künstler Jonathan Meese ist bereit, für die gute Sache zu sterben. Und bastelt seit Wochen an seiner Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen

von Petra Schellen

Eins zu eins hat Jonathan Meese sein Bühnenbild für das Stück „Kokain“ von der Berliner Volksbühne in die Hamburger Deichtorhallen gesetzt: Damit ist es zu einer begehbaren Skulptur geworden. Außerdem geleiten den Besucher eine rosa Burg sowie ein schwarzer Turm mit kopflosem Torhüter in die Ausstellung „Jonathan Meese – Mama Johnny“, die ab 30. April in den Deichtorhallen zu sehen ist. Momentan wird die Ausstellung noch aufgebaut. Zentral im Raum steht ein weiß gestrichener Zwitter aus Galgen und aufgespießten Schädeln. Kleine Reminiszenz an Klaus Störtebeker. Geht man weiter, finden sich galerieartige Kabinette, gefüllt mit an Anspielungen reichen Gemälden und Skulpturen.

taz: Die schwarze Bühne hier, die hat doch schon in der Volksbühne gestanden, bespielt von Frank Castorf. Muss man das hier jetzt noch mal bauen?

Jonathan Meese: Allerdings. Denn hier fügt sich die black box in einen riesigen Raum und hat ein Umland. Ganz abgesehen davon, dass ich den Aufbau hier komplett privat bezahlt habe. Aber das interessiert ja mal wieder keinen. Dabei ist das doch Hingabe an die Sache in ihrer reinsten Form! Außerdem: Wo in Deutschland gibt es einen zweiten so großen Ausstellungsraum?

Aber die Zweckentfremdung von Kunsträumen haben ja nicht Sie erfunden.

Ich betreibe hier ja nicht nur eine Zweckentfremdung. Ich erschaffe etwas vollkommen Neues und umgebe es mit weiteren Werken wie der Störtebeker-Installation da vorn. (zeigt auf einen Galgen mit zwei aufgespießten Schädeln). Das sind mein Freund – Maler Rolf – und ich. Immer bereit, für die gute Sache zu sterben.

Für die gute Sache?

Ja, für das Kämpfen, zur Not auch den Kampf gegen alle. Man investiert doch kein Herzblut mehr heutzutage!

Aber ist der Schädel nicht ein recht patriotisches Symbol, das nur der Hanseat versteht?

Das können Sie natürlich so sehen. Für mich hat das jedenfalls einen großen Symbolgehalt.

Aha. Und wie würden Sie das Leitmotiv der Schau definieren?

Es geht um Liebe. Um utopische Macht. Es geht darum, sich vorzuwagen. Sich zu äußern, konträr zu sein. Und natürlich geht es auch um Freundschaft. Denn all diese Werke habe ich mit anderen zusammen hergestellt. Und wo gibt’s das heutzutage noch, dass man Freunde und Familie öffentlich würdigt? Das ist doch die Wurzel jeder Revolution gewesen – das Zusammengehen Gleichgesinnter, die etwas ändern wollten. Die Hingabe üben.

Hingabe – an was? An das Gute, Schöne, Wahre?

Ich kann und will keine Werte vorgeben. Ich bin Künstler und schreibe niemandem vor, wie er zu leben hat.

Ihnen ist also egal, ob es sich um Hingabe an den Völkermord oder ans Gärtnern handelt?

Wie gesagt, Vorgaben und Urteile stehen mir nicht zu. Hingabe an sich ist ein Wert. Liebe – das ist meine Vision und Utopie.

Denken Sie da an eine höhere Macht, die Gut und Böse steuert?

Nein, gar nicht. Eher an eine – tja, Energie ist auch ein komisches Wort. Ich denke nur, dass alles heutzutage sehr mitläufermäßig geworden ist. Dass wir unter der Diktatur der künstlichen Harmonie leben. Dass wir unsere Seelen nicht mehr spüren. Dass es keine Ehrlichkeit mehr gibt.

Wie das?

Sehen Sie sich doch nur den Kunstbetrieb an. Da bringen Professoren jungen Leuten bei, was Kunst ist. Die kriegen ein Diplom dafür und sind dann nicht mal so ehrlich zu sagen: Ich bin eine Mitläufersau. Dabei sind sie es doch, die der Macht den Weg ebnen!

Das Stück, zu dem die Bühne gehört, heißt „Kokain“, und am Schluss bringt sich jemand um. Angesichts Ihrer Idee, dass man produktiv sein soll, ein gestriger und destruktiver Stoff …

Nun ja, als ich gebeten wurde, das Bühnenbild zu gestalten, war mir das Stück eigentlich egal. Ich wollte ein neues Genre ausprobieren. Und dann habe ich gedacht, ich mache gleich ein universell kompatibles Bühnenbild.

Aber dieses ist doch sehr speziell mit Requisiten ausgestattet. Das soll also auch zu Shakespeare und Beckett passen?

Ja, natürlich. Wenn man will, kann man da alles drin spielen.

Wenn‘s so beliebig ist, hätten Sie doch eine schwarze Wand hinstellen können. Die wäre noch universeller einsetzbar …

Hätt’ ich können, ja. Aber dafür bin ich zu mitteilungsbedürftig.

Apropos: Alles hier wimmelt vor Bildern, Anspielungen und Schrift. Warum muss das eigentlich sein?

Weil es aus mir raus muss. Dabei ist das ein schon gebändigter Wust. Da gab es auch ganz andere Zeiten.

Wo läuft er aber hin, der Wust? Wird das jetzt immer mehr? Immer mehr Stalins, Hitlers, Phalli?

Ich glaube ja. Ich vermute, dass ich das Tempo ständig weiter steigern werde. Das scheint mir die einzige Chance, nicht arrogant zu werden angesichts meines aktuellen Höhenflugs.

Wirklich, die einzige?

Ich glaube, das ist eine Typfrage. Und irgendwann gibt’s einen großen Knall, und die Revolution wird unausweichlich.

Welche Revolution?

Die der Gesellschaft. Hier läuft so vieles verheuchelt. Denken Sie nur an den Umgang mit den Alten, denen man kein würdiges Leben mehr gönnt. Da muss etwas passieren. Und das will ich noch erleben.

Was soll die Revolution denn bringen?

Das Paradies.

Echt? Den Garten Eden?

Paradies sehe ich eher als Begriff. Als einen nie zu erreichenden Zustand. Das kann die Natur sein, die ohne uns existiert. Das kann aber auch etwas anderes sein. Ich weiß auch nicht, ob’s da gut oder böse drin aussieht. Was uns heutzutage jedenfalls fehlt, ist Demut. Beziehungsweise die Erkenntnis, dass unsere Meinung über die Dinge nicht zählt. Und dass man anderen nicht seine Urteile aufzwingen soll. Wenn ich da zum Beispiel an den traditionellen Kunstbetrieb denke … Der gehört abgeschafft!

Sie sind ihm längst entronnen. Warum stört Sie das dann noch?

Weil ich damit groß geworden bin. Es ist ein Stück Vergangenheit, das ich noch nicht ablegen kann. Und es ärgert mich, dass da Radikalität fehlt. Wäre sie da, ich würde sie bemerken. Radikales Gedankengut rieche ich auf Hunderte von Kilometern. Und im Moment ist da nichts.

Sie provozieren unter anderem durch Stalin-Plakate und Hitlergruß. Was haben Sie eigentlich davon?

Das ist nicht als Provokation gemeint. Ich tue das, um diesen Zeichen Gelegenheit zu geben, sich zu neutralisieren. Um den Zuschauern die Chance zu geben, nicht reflexhaft zu werten. Sondern einfach nur wahrzunehmen, was ist.

Wie lange braucht denn so ein Zeichen, um sich zu neutralisieren? Und woher weiß es, dass es das tun soll?

Das könnte schnell gehen, wenn wir unsere Denkmuster ändern würden. Denn sehen Sie: Die Götter – und davon sitzen sicher viele dort oben – werfen immer wieder denselben Stein runter, und der macht eine Kuhle. Und wir hätten alle Macht, die Kuhle zu ändern. Aber wir harren in unseren Denkmustern aus und tun es nicht!

Und dazu wollen Sie die Menschen verleiten?

Ja, gewissermaßen.

Das kann aber lange dauern – zumal die bürgerlichen Mitläufer wohl nicht in Ihre Ausstellungen kommen.

Das macht nichts. Ich habe Zeit.

Grundsätzlich liegt Ihnen aber schon etwas an Kommunikation, oder? Sonst sprächen Sie nicht so vehement über Ihre Kunst …

Ja, natürlich. Obwohl ganz am Ende natürlich das Schweigen stehen müsste, weil Sprache die Quelle der Missverständnisse ist.

Aber ganz egal ist Ihnen das Publikum nicht. Sonst säßen Sie ja als Eremit in einer Höhle.

Das Weiseste wäre es vielleicht. Bin ich aber nicht der Typ für. Ich möchte etwas tun, konträr sein! Wenn zum Beispiel alle sagen: ,Die Sonne ist rund‘, finde ich es durchaus charmant zu sagen, sie sei eckig. Einfach um die Sache ein bisschen bunt zu halten.

„Jonathan Meese - Mama Johnny“ist vom 30. 4. bis 3. 9. in den Hamburger Deichtorhallen zu sehen. Am 27. und 28. 4. zeigt die Berliner Volksbühne das Stück „Kokain“ als Gastspiel. Karten gibt es unter ☎ 01805-969 00 00, www.kartenhaus.de sowie an der Abendkasse.