„Global Passport“ zu verschenken

In Niedersachsen und Hamburg gehen hunderte Menschen gegen die Abschiebung von Flüchtlingen auf die Straße. Betroffene und Helfer appellieren an deutsche Innenminister, Bleiberecht zu schaffen und geißeln rigorose Ausweisungspraxis

Maryam (18): „Ein Leben unter den Mullahs kann ich mir nicht vorstellen“

Von Kai von Appen
und Reimar Paul

Der Posaunenchor hat gerade ein Ständchen gespielt zum „Tag der Bahnhofsmission“, als Demonstranten einen Lautsprecherwagen auf den Göttinger Marktplatz schieben. Andere entrollen Transparente. „Abschiebungen stoppen“, steht da, „Bleiberecht für alle“. Eine Gruppe junger Leute hält Schilder mit der Aufschrift „Residenzpflicht abschaffen“ hoch. Etwa 500 Menschen, unter ihnen viele Flüchtlinge, sind am Samstag zur Kundgebung gegen Abschiebungen und für ein Bleiberecht in die Göttinger Innenstadt gekommen.

Eine Samba-Band heizt kräftig ein. „Mobile Pass-Stationen“ verteilten einen „Global Passport“ an Passanten. Das Dokument berechtigt zur freien Wahl des Wohnortes. Die Inhaber haben uneingeschränkten Zugang zu Bildung, Sozialleistungen und Gesundheitsversorgung. Und sie haben „auf der ganzen Welt alle Bürgerrechte“. 3.000 Pässe bringen die wie Zöllner gekleideten Verteiler unter die Leute.

Außer in Göttingen gab es am Wochenende auch in vielen anderen deutschen Städten Kundgebungen gegen Abschiebungen. Anlass für den Aktionstag, an dem sich im Norden auch Flüchtlingshelfer und Betroffene in Hamburg beteiligten, war die nächste Innenministerkonferenz am 4. und 5. Mai in Garmisch-Partenkirchen. Dort wollen die Länder über eine Bleiberechtsregelung für langjährig geduldete Flüchtlinge verhandeln.

Harsche Kritik setzte es in Göttingen auch am Verhalten der Ausländerbehörden. In Südniedersachsen sind mehr als 1.000 Roma und Aschkali aus dem früheren Jugoslawien sowie hunderte Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Libanon, die vor rund 20 Jahren hierher kamen, von Abschiebung bedroht. In vielen Fällen wurden Asylberechtigungen widerrufen.

So auch die von Yakob Alyas, der vor das Göttinger Rathaus gekommen war. Der Iraker lebt seit vielen Jahren als anerkannter Flüchtling in der Stadt. Mit der Begründung, im Irak bestehe nun keine Gefahr mehr, nahmen die Behörden kürzlich die Asylberechtigung zurück. Alyas ist 73 Jahre alt und zuckerkrank. Auch seine Frau soll ausreisen – in ihr Heimatland Syrien.

Wie der Iraker ging auch die iranische Familie Wahidi auf die Straße, weil sie mit Abschiebung rechnet. Nachdem sie sich vor acht Jahren im Kreis Göttingen niederließ, wurde ihr Asylantrag jetzt abgelehnt. Die Christen befürchten bei einer Rückkehr Verfolgung. „Wir müssen dann um unser Leben fürchten“, so die 18-jährige Tochter Maryam, die sich ein „Leben unter den Mullahs“ nicht vorstellen kann.

„Die Behörden vor Ort berufen sich immer häufiger auf die strengen Vorgaben des Landes“, beklagte Christine Hadeed vom Göttinger Migrationszentrum. Pfarrer Peter Lahmann meinte ebenfalls, „dass das Innenministerium in Hannover großen Druck auf die Ausländerämter macht“. Diese nutzten Spielräume zur Gewährung eines Bleiberechts nicht aus.

Trotz Dauerregens – und daher tristerer Atmosphäre – gingen am selben Tag auch in der Hamburger Innenstadt etwa 250 Menschen auf die Straße. Mit der Forderung „Papiere für alle – Abschiebungen stoppen“ appellierten sie an die Innenminister. Hamburgs CDU-Senat mit dem parteilosen Chef des Innenressorts, Udo Nagel, gilt als „treibende Kraft“, das Bleiberecht weiter auszuhöhlen und Abschiebehindernisse abzubauen. Es sei zu befürchten, so Franz Forsmann vom örtlichen Flüchtlingsrat, dass es sich bei den erneuten Beratungen nur um eine „Scheindiskussion“ handele. Denn schon seit Jahren würden Forderungen nach einer Bleiberechtsregelung für Geduldete immer wieder vom Tisch gewischt.

Sprecher verschiedener Organisationen geißelten laufende Abschiebungen etwa in das politisch instabile Togo und ins kriegszerstörte Afghanistan. Das „Netzwerk Afghanistan Info“ warf dem Hamburger Senat vor, junge afghanische Männer, die hier aufgewachsen sind, aus ihren Familien und aus Ausbildung oder Studium zu reißen.

„Die Regierenden wollen sich ihren Wunsch erfüllen, Hamburg flüchtlingsfrei zu machen“, kritisierte Forsmann vom Flüchtlingsrat. Ein Beispiel dafür sei das Vorhaben Hamburgs, die Zentrale Erstaufnahme-Einrichtung für Flüchtlinge auf dem Wohnschiff „Bibby Altona“ im Hafen zu schließen und stattdessen die Zentrale Aufnahmestelle (ZASt) Horst in Mecklenburg-Vorpommern mitzunutzen.

Die ZASt in Horst bei Boizenburg liegt auf einem ehemaligen Gelände der Nationalen Volksarmee, fernab einer größeren Stadt und dem Angebot an Beratungsstellen und Anwälten. „Durch diese Art der Auslagerung“, so Forsmann, „wird die Politik der Isolation und Stigmatisierung weiter vorangetrieben.“