Gott gibt keine Antwort

Nach dem 0:2 gegen Leverkusen kann sich der Hamburger SV von allen Meisterträumen verabschieden und Trainer Thomas Doll sich nicht mehr an seinen letztjährigen Urlaub erinnern

AUS HAMBURG CHRISTIAN GÖRTZEN

Für einen kurzen Moment versuchte sich Ailton als Medium, als könne er die Frage des Journalisten direkt an den Fußballgott weiterleiten. Er blickte nach oben, breitete seine Arme aus, hob und senkte sie je dreimal in flehendem Rhythmus, und ergriff das Wort. „Warum? Warum? Warum?“, rief der Brasilianer genervt zur Eingangshallendecke hinauf. Als keine Antwort erklang, setzte der Angreifer des Hamburger SV ein „Siehste, der Fußballgott weiß es auch nicht“-Gesicht auf und mühte sich fortan selbst darum, Erklärungen für das Zustandekommen der 0:2-Heimniederlage gegen Bayer Leverkusen zu finden.

Sonderlich erfolgreich war er dabei allerdings nicht. „Tja, Ball am Pfosten. Kein Glück für mich“, radebricht der Publikumsliebling. „Erste Halbzeit – gutes Spiel von uns“, ergänzte Ailton, der sich eigentlich mit Toren für eine Vertragsverlängerung empfehlen wollte. Bis zum Saisonende hat der HSV den ehemaligen Stürmer von Werder Bremen und Schalke 04 vom türkischen Spitzenklub Besiktas Istanbul ausgeliehen. Findet der HSV Gefallen an Ailton, hat er die Chance, die Option im Leihvertrag wahrzunehmen und Ailton für die festgeschriebene Ablösesumme von 1,75 Millionen Euro zu verpflichten.

Diente allein das Spiel gegen Leverkusen als Maßstab für eine Entscheidungsfindung, der HSV könnte den Südamerikaner nicht verpflichten. Schon aus Rücksichtnahme auf die Gesundheit der Fans. Schließlich waren die HSV-Anhänger unter den 57.000 Zuschauern in der wieder einmal ausverkauften Arena mehrmals einem Nervenzusammenbruch nahe. Im äußerst ungesunden Minutentakt stockte ihnen der Atem. Vor allem Ailton tat sich als Chancenvernichter hervor. Gleich drei erstklassige Gelegenheiten ließ er aus. Mehdi Mahdavikia und Benjamin Lauth waren ebenso erfolglos. Und so rannte das ersatzgeschwächte HSV-Team, das ohne die verletzten Daniel van Buyten, Rafael van der Vaart, Nigel de Jong und Raphael Wicky auskommen musste, fast 70 Minuten lang der überraschenden Gästeführung aus der 8. Minute durch Simon Rolfes hinterher – nur, um in der 77. Minute den K.o.-Schlag zum 0:2 durch Paul Freier hinnehmen zu müssen. „Tja, so fair ist der Fußball manchmal“, merkte HSV-Cheftrainer Thomas Doll süffisant an: „Leverkusen hätte sich nicht beschweren können, wenn wir zur Pause mit 3:1 oder 4:1 geführt hätten. Auf der einen Seite haben wir heute Werbung für den Fußball betrieben, andererseits hätten wir auch noch Stunden weiterspielen können, ohne dass wir ein Tor geschossen hätten.“ Der Blick nach oben zum Tabellenführer Bayern München, den Doll wohl erst bei Punktgleichheit mit dem Rekordmeister nachträglich öffentlich zugegeben hätte, hat sich für Trainer, Spieler und Fans des HSV seit Sonnabend um 17.15 Uhr wohl endgültig erledigt.

Die Chance auf die Meisterschaft ist allenfalls noch theoretisch vorhanden. Vielmehr müssen die Hamburger jetzt aufpassen, dass ihnen Nordrivale Werder Bremen nicht noch den zweiten Platz und damit die direkte Qualifikation für die Champions League wegschnappt. „Es hätte heute ein ganz, ganz toller Tag für uns werden können“, sinnierte Doll, als er sich die Tabellensituation vor Augen rief. Die Überlegenheit seiner Mannschaft war frappierend. Allein das Verhältnis der Torschüsse diente als Beleg dafür, dass die bessere Elf verloren hatte. Hamburg schoss 33-mal aufs gegnerische Gehäuse, Leverkusen nur elfmal.

Parallelen zum vergangenen Jahr, als der HSV in den letzten vier Saisonspielen leichtfertig sein großes Ziel – damals war es der Uefa-Cup-Platz – verspielte, wies Doll weit von sich. „Wir sind mittlerweile so gefestigt, dass ich an so etwas nicht denke“, beschied er den Journalisten in der Pressekonferenz, „das ist doch das Schöne: Meine Gedankengänge sind andere als eure. Mich interessiert doch auch nicht mehr, wo ich im letzten Jahr im Urlaub war. Wenn ich mit so etwas anfinge, hätte ich schlaflose Nächte.“ Er lebe im Hier und Jetzt. So bitter das momentan auch sei.