Ein politischer Kampf um die Deutungshoheit

Brandenburgs Innenminister Schönbohm: Kay Nehm hat Brandenburg stigmatisiert und erheblichen politischen Schaden angerichtet

FREIBURG taz ■ Generalbundesanwalt Kay Nehm wollte ein Zeichen setzen, indem er die Ermittlungen gegen die Täter von Potsdam an sich zog. Doch Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) hält dies für ein falsches Signal, das sein Bundesland unnötig stigmatisiere. „Es wäre nicht nötig gewesen, dass die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen an sich zieht“, sagte Schönbohm der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Der Generalbundesanwalt hat überzogen. Der politische Schaden, den er angerichtet hat, ist erheblich.“

Postwendend verteidigte sich Nehm gestern und verwies auf das Gerichtsverfassungsgesetz. Danach ist zwar grundsätzlich die Staatsanwaltschaft vor Ort für Delikte wie Mord oder Mordversuch zuständig, die Bundesanwaltschaft kann jedoch eingreifen, wenn der Fall „besondere Bedeutung hat“ und die „äußere oder innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland“ beeinträchtigt wird. Im Potsdamer Fall sei durch die Tat „das friedliche Zusammenleben unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen infrage gestellt“ worden. Auch sei das „Vertrauen aller Bevölkerungsteile darauf erschüttert, in der Bundesrepublik Deutschland vor gewaltsamen Einwirkungen geschützt zu sein“. Nur deshalb habe er die Ermittlungen übernommen.

Schönbohm stützt seinen Angriff auf Nehm wohl vor allem auf Äußerungen Potsdamer Sicherheitskreise, wonach Ermyas M. mit nur einem Faustschlag niedergestreckt wurde, sich alkoholbedingt im Fall nicht abstützen konnte und deshalb mit voller Wucht auf dem Boden aufschlug. Weitere schwere Verletzungen, etwa durch Tritte, habe es nicht gegeben, berichtete Bild am Sonntag. Doch die Bundesanwaltschaft relativierte diese Darstellung. „Der kritische Zustand von Ermyas M. erlaubt es derzeit gar nicht, ihn so gründlich zu untersuchen, dass weitere Verletzungen ausgeschlossen werden können“, sagte eine Sprecherin. Auch sei weiter von einem Mordversuch auszugehen. „Wer fragt: ‚Sollen wir dich umpusten?‘, und dann dem Opfer mit einem Faustschlag den Schädelknochen zertrümmert, der weiß, wie gefährlich so ein Schlag sein kann.“

Wenn Nehm die Ermittlungen in einem derartigen Fall an sich zieht, hat dies zunächst symbolische Wirkung. Den Tätern und der Öffentlichkeit wird signalisiert, dass solche Taten von der Justiz sehr ernst genommen werden. Zum ersten Mal hat Nehm 1999 zu diesem Mittel gegriffen. Damals waren zwei Vietnamesen bei einem Dorffest in Eggesin (Mecklenburg-Vorpommern) von rechten Jugendlichen lebensgefährlich verletzt worden.

Das Eingreifen der Bundesanwälte hat damals tatsächlich zu einem professionelleren Umgang mit dem Fall geführt. Die Täter waren zunächst in einer gemeinsamen Zelle eingesperrt, wo sie sich absprechen konnten. Die Bundesanwälte machten dem sofort ein Ende. Zudem war die örtliche Staatsanwaltschaft nicht auf die Idee gekommen, die Wohnungen der Täter zu durchsuchen.

Die Staatsanwaltschaften vor Ort empfinden das Eingreifen von Nehm oft als Misstrauenserklärung. Ärger gab es auch im Jahr 2000, als Nehm nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Erfurt die Ermittlungen an sich zog, obwohl es nur geringen Sachschaden gab und die Täter schon gefasst waren. Nehm hatte dies mit der „besonderen Aufmerksamkeit im Ausland“ begründet, die Anschläge auf Synagogen in Deutschland stets mit sich brächten.

CHRISTIAN RATH