LESERINNENBRIEFE
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Unerfüllbare Forderungen

■ betr.: „Konzepte für mehr Menschlichkeit“, taz vom 8. 10. 13

Positiv an den aufgezeigten Konzepten von Anna Lehmann und Christian Jakob war ihre Systematik und ihr Informationswert. Wie üblich beim Thema Einwanderung gibt die taz völlig einseitig und parteiisch die Auffassungen von Lobbyorganisationen und deren beinahe unerfüllbaren Forderungen wieder.

Der Satz „Die EU-Staaten haben Angst vor ihren Wählern, den Folgekosten und hegen die Befürchtung, dass zu viel Generosität als Einladung für weitere Flüchtlinge verstanden wird“, trifft gewiss zu und spiegelt auch mein Empfinden. Dass die UNHCR behauptet „Die großzügigen Regelungen in Skandinavien und den Niederlanden haben bisher nicht zu einem Anstieg der Einwanderung geführt“, entbehrt aber jeder Grundlage.

Die Hälfte des Jahres verbringe ich in Mittelschweden, dort ist in jeder Kleinstadt die wachsende Zahl der Einwanderer zu sehen. Schweden praktiziert sicher eine sehr großzügige Einwanderungspolitik, die offenbar sogar von der Mehrzahl der Einheimischen mitgetragen wird. Kurios ist zurzeit nur, dass maßgebliche schwedische Politiker an andere europäische Staaten, vor allem an die skandinavischen Nachbarn, appellieren, ihrer „humanitären Verantwortung“ mehr nachzukommen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Auch was Skandinavien betrifft, ist wohl kaum zu übersehen, dass die fremdenfeindlichen Parteien ziemlich viele Mandate gewonnen haben und nun zum Beispiel in Norwegen mit in der Regierung sind.

Es müssten zwei Wege in den nächsten Jahren beschritten werden, um die Zahl weltweit herumirrender Flüchtlinge wesentlich zu verringern: Besonders Afrika dürfte nicht mehr so ausgeplündert werden wie bisher und das Bevölkerungswachstum eben auch in Afrika sollte erheblich gebremst werden. Beides ist ebenso unwahrscheinlich wie die Verwirklichung der taz-Konzepte, deshalb wird sich die globale Flüchtlingslage eher noch verschlechtern.

ALBERT REINHARDT, Stralsund

Bio-Skandal überrascht nicht

■ betr.: „Wahrscheinlich guckt wieder keiner“, taz vom 10. 10. 13

Der neueste Bio-Skandal kommt nicht überraschend. Erstens gibt es hierzulande, anders als etwa in Dänemark, kein alleiniges staatliches Gütesiegel, was es den Produzenten sehr einfach macht, die Öffentlichkeit zu täuschen. Und zweitens besteht ein wesentlich Problem in Deutschland darin, dass man gerade in größeren Städten ökologische Lebensmittel vor allem als Lifestyle betrachtet. In vielen Bioläden sind die Konsumenten mittlerweile so unkritisch wie ihre geizigen Gegenüber beim Discounter, und kaum jemand stellt sich die Frage, was zum Beispiel Tiefkühlpizzen, die es bei nicht wenigen Ketten gibt, noch mit dem ursprünglichen Biogedanken zu tun haben! RASMUS PH. HELT, Hamburg

Merkels Austeritätspolitik

■ betr.: „Kröten für Berlin“, taz vom 4. 10. 13

Die von einigen Autoren in der taz vorgetragene Kritik an der Austeritätspolitik von Angela Merkel im Hinblick auf die verschuldeten Südländer der Euro-Zone ist verständlich. Natürlich kann es nicht das Ziel deutscher Politik sein, Europa totzusparen. Dennoch läuft diese Kritik ins Leere. Ein weiteres bloßes Hineinpumpen von Geld in diese Volkswirtschaften, um sie erst einmal zu stabilisieren, lässt sich dem deutschen Publikum mit Recht politisch nicht vermitteln. SPD und Grüne wissen das und haben eine solche EU-Finanzpolitik auch deshalb im Wahlkampf nicht befürwortet.

Tatsächlich gibt es nur graduelle Unterschiede zwischen bisheriger Regierung und Opposition in dieser Frage. Denn niemand glaubt ernsthaft daran, dass sich die dringend notwendigen Strukturreformen nach einer Erholungsphase in diesen Ländern durchsetzen lassen. Und ich meine damit nicht den neoliberalen Sozialabbau, sondern Korruptionsbekämpfung. Schaffung einer effektiven Steuererhebung, Abbau einer aufgeblähten Bürokratie etc. Die finanziellen Hilfen sind deshalb nur mit entsprechenden Auflagen zu rechtfertigen. Die Misere liegt nicht primär an der Merkel-Politik. Die Fehler wurden früher gemacht. Staaten wie Griechenland hätten niemals in die Eurozone aufgenommen werden dürfen. Aber auch die Kontrolle der Schuldengrenzen war mangelhaft. Im Übrigen sei daran erinnert, dass der Euro zunächst ein Projekt europäischer Großunternehmen und ihrer Lobbyisten in Brüssel war. Die Politik ist den Vorgaben mehr oder weniger blind gefolgt, ohne die neue gemeinsame Währung durch Schutzmechanismen für Krisen abzusichern. Dann kam die Bankenkrise, und jetzt ist das Kind sozusagen in den Brunnen gefallen mit dem Resultat einer Krisenbewältigungspolitik, die die Staaten in Europa gegeneinander in Stellung bringt und die europäische Idee insgesamt gefährdet.

Der Euro wird daher nur zu retten sein, wenn sich die EU grundlegend neu strukturiert. Ohne eine tief greifende Demokratisierung der europäischen Institutionen, ohne Aufgabe von Souveränitätsrechten, ohne eine gemeinsame Finanzverfassung und ohne eine wirkliche politische Integration werden die Konflikte, die durch die ökonomischen Unterschiede zwischen Nord- und Südländern aufgebrochen sind, nicht gelöst werden können, das heißt auch, eine institutionelle Vergemeinschaftung der Schulden und damit ein dauerhaftes Ende der Euro-Krise, ist anders nicht denkbar. Das Fatale an Merkels Politik ist, dass ihr der Mut zu einer weitreichenden Gestaltung in diesen Fragen fehlt. Ich sehe aber auch aus der Opposition heraus kein Engagement, über den Tag hinaus zu denken. Der Euro hat das Projekt der europäischen Einigung in die größte Krise seiner Geschichte geführt. Jetzt ist die Chance gekommen, die europäische Idee entscheidend voranzubringen. HARTMUT GRAF, Hamburg