Kopra, übernehmen Sie!

Von wegen Bauernsterben: Hartz IV bringt Arbeitsuchende zurück zur Natur

Noch immer gibt hierzulande alle 90 Minuten ein Bauer seine Landwirtschaft auf. Aber es macht sich auch eine gegenstrebige Tendenz bemerkbar – nicht zuletzt durch Hartz IV, denn damit werden immer mehr Unvermittelbare in die vom Kapital links liegen gelassene Nischen – auf das Land – abgetrieben, wo sie versuchen, sich halbagrarische Ich-AGs aufzubauen. Dazu gibt es bereits eine Wiederbelebung der Diskussion über Subsistenzwirtschaften. Hinzu kommt nun noch, forciert durch die Ölpreis-Entwicklung, dass auf dem Land immer mehr Arbeitsplätze in der Bioenergieerzeugung entstehen: Bald werden ganze Regionen zum Ölpflanzenanbau genutzt, verbunden mit großen Standorten für Windkraft- und Biogasanlagen – und damit rekapitalisiert, d. h. industrialisiert.

Auch die neubäuerliche Wirtschaftsweise ist also noch nicht aus dem Schneider und muss um ihre Nischen bangen. Wovon sich im Sommer eine Klasse der Kreuzberger Waldorfschule überzeugen konnte, nachdem man sie aufs Land geschickt hatte, wo sie sich für einige Wochen bei Bauern verdingten, zumeist auf Biohöfen, die aufgrund ihrer besonderen Wirtschaftsweise immer einen großen Bedarf an engagierten „Ranch Hands“ haben. Die Ideen, Initiativen und Projekte der Biolandwirtschaft haben besonders in den Alpenregionen – von Slowenien bis Frankreich – eingeschlagen. Vorreiter ist hierbei die Schweiz, wo inzwischen fast das ganze Land biologisch bewirtschaftet wird, aufgrund einer besonderen Bodensteuer. Aber auch in Slowenien stieg die Anzahl der Biohöfe seit 2001 von 315 auf 1.150.

In Österreich begann diese Entwicklung mit der Verabschiedung eines „Bäuerlichen Manifests“ – 1982, aus Anlass des 450. Todestags von Michael Gaismair, dem wohl bedeutendsten alpinen Bauernführer während des Großen Bauernkriegs 1515. Gleich beim ersten Punkt sträubten sich den antikommunistischen Agrarpolitikern in Wien die Haare: Das „Eigentum an land- und forstwirtschaftlich genutztem Grund und Boden ist vom Bauern mehr als Lehen denn als Besitz zu betrachten …“ In das Manifest gingen daneben die Bildungsideen verschiedener Agrarreformer ein, u. a. die des „Mistapostels“ – des Öztaler Priesters Adolf Trientl – zur „Verbesserung der Alpen-Wirtschaft“. Die Initiatoren sehen heute das Heil vor allem in der „Umstellung“ auf biologisches Wirtschaften, ferner in der Entwicklung eines darin integrierten Tourismus sowie in der Veredelung und Vermarktung von Bioprodukten. Ihnen entgegen kommt dabei die Unesco, die ein Alpental nach dem anderen als Biosphärenreservat anerkennt. Und es entstehen diesbezüglich regionale Interessenvertretungen als Pressure-Groups.

Berühmt wurde die Voralberger Konsumenten- und Produzenten-Arbeitsgemeinschaft Kopra mit Sitz in Bregenz. Darüber hinaus gibt es auch noch den alpenweiten Verband „Pro Vita Alpina“. Sein Vorsitzender Hans Haid hat jetzt im Böhlau Verlag ein Buch über diese ganze Bioentwicklung veröffentlicht: „Neues Leben in den Alpen“. Zuvor erschien im selben Verlag bereits ein Buch des steiermärkischen Historikers Kurt Bauer, das „Vom alten Leben auf dem Land“ handelt. Der Autor hatte dazu 22 ehemalige Bauern, Knechte und Mägde interviewt, die zumeist in den Zwanzigerjahren geboren wurden und ihm erzählten, wie sie damals wirtschafteten. Ihre Berichte sind in Arbeitsbereiche gegliedert – wie Almauftrieb, Brot backen, Waschtag, Sauerkraut machen, Heuernte usw.

Einer der Interviewten war anschließend selber erstaunt, wie viel sich in wenigen Jahrzehnten in der traditionellen Landwirtschaft verändert hat – vom sich nahezu selbst versorgenden Hof mit vielen Helfern bis zur Mechanisierung der Betriebe und ihrer gleichzeitigen Konzentration, die aus den Bauern eine gesellschaftliche Minderheit (von heute 7 bis 8 Prozent) machte – und das Dorf als ökonomische Gemeinschaft zum Verschwinden brachte. Im Endeffekt wurden dabei aus Bauern unterbezahlte Heimarbeiter für die Lebensmittelindustrie. Ob dieser Prozess mit ihrer Ökologisierung rückgängig gemacht werden kann? Helmut Höge