Das Leidens-Original

URBILDER Eine Ausstellung in Stade zeigt die vielfältigen Weisen, auf die sich die Künstler der Moderne mit Jesus Christus beschäftigten

Seine Verehrer glauben, dass er wiederkehren wird. Bis dahin sind zumindest seine Bilder allgegenwärtig: Kaum etwas prägt die Kultur des Abendlandes mehr als diese Vorstellung des Jesus Christus als leidenden Mann, der schreckliche Folterqualen auf sich nimmt, um sich und andere zu erlösen. Da reicht, als Urbild, höchstens das Mutter-Kind-Ding ran.

Sicher: Beworben wurden sie durch die Kirchen seit 2.000 Jahren. Dennoch hätten es der jüdische Religionsstifter und seine Mutter Maria ohne den Appell an grundlegende Muster wohl nicht geschafft, so sehr die Vorstellung von Gläubigen und auch Nicht-Gläubigen zu bestimmen – und einen der vordersten Ränge in der historisch offenen Prominentenliste zu besetzten. Da überrascht aus auch nicht, dass die Künstler der Moderne sogar ohne kirchlichen Auftrag ihre Versionen der großen Erzählung um Jesus von Nazareth vorlegten.

Dieser Säkularisierung des Christus-Bildes widmet sich jetzt die Ausstellung „Jesus reloaded“ im niedersächsischen Stade. Gezeigt werden mehr als 130 druckgrafische Arbeiten aus den Sammlungen der „Stiftung christliche Kunst Wittenberg“. Die älteste ist Manets von zwei Engeln gehaltener toter Christus, eine 1866 als zu realistisch abgelehnte Paraphrase nach einem Motiv des Frührenaissance-Malers Andrea Mantagna.

Über Gauguin und Chagall bis hin zu Robert Rauschenberg, Joseph Beuys oder Keith Haring: Die wenigsten der 41 Künstler haben sich des Themas sonderlich kirchenfromm angenommen. Sie provozieren lieber mit dem Scheitern des religiösen Versprechens in Krieg und Grausamkeit, zeigen Jesus als eine Metapher des gequälten Menschen – ob in eine archaisierende, mesopotamische Formenwelt versetzt wie 1952 von Willi Baumeister oder in den Alltag einer Stadt des Jahres 1949 wie vom Dänen Palle Nielsen.

Immer wieder stößt man auf eine Identifikation des Künstler-Außenseiters selbst mit der Christus-Figur. Diese erhält die Gesichtszüge des leidenden Kreativen, der die biblischen Geschichten auf seine persönliche Lebenslage zuschneidet. James Ensor etwa zeigt diejenigen, die Christus verspotten, als seine eigenen Gegner: belgische Kunstkritiker aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Eine simple Problemlösung bietet der DDR-Künstler Fritz Cremer an: Christus solle sich einfach befreien, indem er die Dornenkrone abnimmt und heruntersteigt vom Kreuz. Den kulturell fest verwurzelten Jesus-Bildern ist dagegen schon erheblich schwerer zu entkommen. HAJO SCHIFF

„Jesus reloaded. Das Christusbild im 20. Jahrhundert“: 12. Oktober bis 19. Januar, Stade, Kunsthaus