BEIM ZUCKERBÄCKER
: Integriert einkaufen

„Den Teller wiege ich immer am Schluss“, blafft er den Kunden an

Im Abschnitt der Sonnenallee um die Ecke meiner Wohnung reihen sich arabisches Café an türkischen Supermarkt an Shisha-Bar an Döner-Imbiss an Teestube. Etwa die Hälfte dieser Etablissements sind nach der arabischen Diva Umm Kulthum benannt. Von deutscher Leitkultur keine Spur, dafür aber eine türkische Konditorei, die hauptsächlich Baklava verkauft.

Auf dem Heimweg fällt mir auf, dass ich zwar schon ungezählte Male an dem Laden mit der altmodischen Holzeinrichtung vorbeigegangen bin, dort aber noch nie etwas gekauft habe. Also, probieren wir’s mal aus.

Im Geschäft steht ein älterer Berliner mit grauen Flanellhose und kariertem Hemd an der Theke und verlangt 300 Gramm Baklava. Donnerwetter, denke ich mir, das funktioniert doch mit der Integration. Der Konditor, ein stämmiger Mann um die 50 mit Walross-Schnauzer, beginnt, packt erst einen Pappteller, dann Gebäck auf die Waage. Doch dann hält er ein. Irgendetwas an seinem Kunden drückt Unzufriedenheit aus. „Was ist?“, fragt er den Mann unwirsch.

Der antwortet: „Eigentlich wiegt man erst den Teller ab und zieht das dann vom Endpreis ab“, antwortet der mit mildem Lächeln. „Ist aber schon in Ordnung.“ Der ertappte Zuckerbäcker ist empört: „Den Teller wiege ich immer am Schluss“, blafft er den Kunden an. „Aber dir verkaufe ich gar nichts mehr. Raus!“ Der Mann zögert einen Augenblick, dann verlässt er sichtlich erschüttert das Geschäft.

Immer noch erregt wendet sich der Konditor an mich: „Was wollen Sie, bitte?“ „Ein Baklava“, antworte ich. Der Mann wirft ein Gebäckstück auf eine Serviette und reicht es wortlos über die Theke. „Was macht das?“, frage ich. Mit erschöpfter Miene winkt der Konditor ab. Es ist die Geste von einem, der gerade der ganzen Niedertracht der Welt ins Gesicht gesehen hat und nun allein sein möchte. Zügig verlasse ich das Geschäft. TILMAN BAUMGÄRTEL