Die Diskussion um das Tatmotiv reißt nicht ab

CDU-Politiker zweifeln weiter am Motiv Rassismus. Auch Fraktionsvize Wolfgang Bosbach kritisiert Generalbundesanwalt Nehm

Jörg Schönbohm (CDU) ist unbelehrbar – dafür ist der Brandenburger Innenminister bekannt. Doch nun meldet sich noch ein Politiker aus seiner Partei, der seine zweifelhaften Äußerungen deckt und ebenfalls am Tatmotiv Rassismus beim Überfall auf Ermyas M. in der Nacht zum Ostersonntag in Potsdam zweifelt. Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach schloss sich der Ansicht Schönbohms an, zum jetzigen Zeitpunkt sei „noch keineswegs unzweideutig klar, dass diese Tat einen rechtsradikalen Hintergrund hat“.

Der Innenminister hatte am Sonntagabend bei „Sabine Christiansen“ seine Skepsis wiederholt und erneut Generalbundesanwalt Kay Nehm dafür kritisiert, dass die oberste Ermittlungsbehörde den Potsdamer Fall an sich gezogen hat. „Wir hätten diese Straftat in Brandenburg auch allein aufklären können und auch allein aufklären müssen“, hatte Schönbohm gesagt.

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) relativierte nach heftiger Kritik hingegen seine Wortwahl, wonach auch „blonde, blauäugige Menschen Opfer von Gewalttaten“ würden. „Das hätte ich nicht mit den beiden Begriffen beschreiben müssen“, sagte er in der ARD. Grundsätzlich blieb er jedoch bei seiner Haltung: „Wir müssen mit aller Entschiedenheit jede Form von Extremismus, von Gewalttätigkeit, Fremdenhass bekämpfen.“ Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich in den Streit nicht einschalten. Es sei bereits klar gemacht worden, dass fremdenfeindliche Gewalt nicht geduldet werde und dass energisch gegen solche Übergriffe vorgegangen werden müsse, hieß es lapidar aus dem Kanzleramt.

Das sehen die Grünen anders. Sie bezeichneten die Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt als „richtiges Signal“. Nehm habe damit „deutlich gemacht, dass ein möglicher rechtsextremistischer, fremdenfeindlicher Hintergrund der Gewalttat in Potsdam von unserem Rechtsstaat mit allen rechtsstaatlichen Mitteln verfolg wird“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Volker Beck, der Netzeitung. Und SPD-Vorstandsmitglied Niels Annen ergänzte im WDR: „Die Tatsache lässt sich nicht leugnen, dass Übergriffe auf ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger in Deutschland leider in beiden Teilen des Landes inzwischen zum Alltag gehören.“ Der Einwand von Schönbohm, dass man nicht hundertprozentig wisse, was dort vorgefallen sei, sei „eigentlich eine Banalität“ und gelte für jeden Strafprozess.

Aufs schärfste kritisierte der Zentralrat der Juden die Äußerungen Schönbohms: Wenn der CDU-Politiker nicht erkenne, dass es sich um eine rassistisch motivierte Tat handele, „braucht er dringend Nachhilfeunterricht“, sagte der Generalsekretär des Zentralrats, Stephan Kramer, im Tagesspiegel.

Ungeachtet der Vorwürfe von Schönbohm arbeitet die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe eifrig weiter an der Rekonstruktion des Tathergangs. Bislang leugnen die beiden Verdächtigen ihre Tatbeteiligung. Grundsätzlich hält der oberste Ermittler aber weiter daran fest, dass ein fremdenfeindliches Motiv vorliegt.

Das 37-jährige Opfer schwebte auch gestern noch in Lebensgefahr. Eine Prognose über die weitere Entwicklung sei bei dem aktuellen Stand nicht möglich, hieß es aus dem Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum. Welche Folgen die schweren Schädel-Hirn-Verletzungen haben werden, könne erst nach Beendigung des künstlichen Komas beantwortet werden. Immerhin sei der zweifache Vater in der Lage, mit Unterstützung eines Beatmungsgeräts wieder selbst zu atmen. FELIX LEE