Lampedusa weckt falsche Hoffnungen

FLÜCHTLINGE AM O-PLATZ

Bald ist wieder Ruhe im Karton und man kann die Überlebenden abschieben

Seit über einem Jahr harren sie aus am Kreuzberger Oranienplatz – und eigentlich interessiert es kein Schwein. Bis auf ein paar linke Aktivisten und engagierte Nachbarn wollte bislang niemand so genau wissen, warum die Flüchtlinge dort campieren. Dann sank ein Schiff vor der italienischen Insel Lampedusa, mehr als 300 Menschen starben. Dass Flüchtlinge an Europas südlichen Küsten sterben, ist zwar fast alltäglich. Doch die schiere Zahl hat selbst die Hartgesottensten schockiert. Seither reden alle davon, „dass etwas passieren muss“. Hoffnung keimt auf: Will man jenen Menschen endlich helfen, die es schaffen, lebend nach Europa zu kommen, manche bis nach Berlin?

Auf jeden Fall verfällt die Politik auf einmal in hektische Betriebsamkeit. Die EU-Innenminister besprechen ergebnislos, Kommissar Barroso eilt nach Lampedusa und ruft angesichts der Kindersärge erschüttert: „Europa kann einfach nicht wegschauen.“ Der Bundesinnenminister bleibt zwar ein sturer Hund und lehnt eine andere EU-Flüchtlingspolitik ab. Doch ist seine Linie noch State of the Art bei den Konservativen? Angesichts von schwarz-grünen Sondierungsgesprächen wittern manche Medien ein Umdenken in der CDU.

Auch in das Thema O-Platz scheint auf einmal Bewegung zu kommen. Medienvertreter sprechen mit den Flüchtlingen und entdecken, dass ganz viele von ihnen über Lampedusa nach Berlin gekommen sind. Und sie fragen nach: Hat Sozialsenator Mario Czaja nicht Hilfe angeboten, ein Haus für die Zeltenden in Aussicht gestellt?

Bald war von der Einzelfallprüfung die Rede, was nichts anderes bedeutet, als dass die meisten Flüchtlinge zurückgeschickt werden in die Bundesländer, in denen sie Asyl beantragt haben. Oder gleich nach Italien, das nach EU-Recht eben zuständig ist für die Lampedusa-Route. Dass genau dies die Auffassung des Senats ist, hat der Staatssekretär des Innensenators nur einen Tag nach Lampedusa in einem Radiointerview deutlich gesagt.

Man darf sich nichts vormachen: Bei aller Mitleidsrhetorik wird sich an den Grundsätzen der europäischen Flüchtlingspolitik nichts ändern. Sobald der mediale Lampedusa-Spot, der gerade bis zum O-Platz strahlt, erloschen ist, werden wir feststellen, dass sich nichts geändert hat. Zu bequem und praktisch sind die EU-Regelungen für Deutschland und Berlin. Da kann man für die Öffentlichkeit ruhig ein paar Krokodilstränen um tote „Afrikaner“ vergießen. Dann ist wieder Ruhe im Karton und man kann die Überlebenden in aller Stille abschieben.

SUSANNE MEMARNIA