wir kanarienvögel von SUSANNE FISCHER
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Zu Hause erlebe ich schon lange nichts mehr, was für eine gelassene Gemütsverfassung sorgt. Die braucht man auch, wenn man sich, wie ich, auf die Kanarischen Inseln wagt. Pauschal.

Der Gegenwind verlängerte die Flugzeit pauschal um eine Stunde, anwesende Kleinkinder verlängerten die gefühlte Flugzeit um drei Stunden. Lustig wurde es erst wieder, als am Zielflughafen Arrecife der Reiseleiter zu einem kleinen Mann aus Bayern sehr viel auf Spanisch sagte, weil er ihn für den Busfahrer hielt. Der gedrückt wirkende Süddeutsche verstand gar nichts, blickte aber trotzdem nur stoisch vor sich hin. Da er mit Frau und Mutter reiste, war er herrische Ansprachen offensichtlich gewohnt und hatte seinen eigenen Weg gefunden, sie zu ignorieren.

Die Mutter des vermeintlichen Fahrers ließ im Bus aus Rache ihren tonnenschweren Kosmetikkoffer auf meinen Fuß fallen. Was haben die Frauen bloß in diesen lächerlichen tragbaren Plastiksafes? Immer muss ich dabei an grobes Handwerkszeug denken, Faltenklammern und Krähenfüßespachtel. Mit diesem Reiseutensil würde ich mich noch nicht mal tot sehen lassen, obwohl man den Inhalt dann vermutlich brauchen könnte.

Busfahren mit einer Reisegruppe ist überhaupt ein eher pauschales Erlebnis. Manchmal denke ich, es gibt ein extra Besetzungsbüro für so etwas, denn nie fehlen der schusselige Zuspätkommer, die Meckerziege, die naive Oma, das Pärchen im Pärchenlook, der Souvenirhamsterer, der Besserwisser, der Videojunkie, der Bei-der-Reiseleitung-Einschleimer, die blonde Familie mit Sonnenschutzfaktor 3000 sowie das Opfer (ich).

Vielleicht könnten wir einmal nur die Rollen tauschen, ich wäre gern mal das Pärchen, dann hätte ich jedenfalls zwei Plätze. Aber die generalsförmige Reiseleiterin erlaubte nicht mal Positionswechsel im Bus. Wahrscheinlich verstößt so was gegen das Pauschalreisegesetz. „Hier sehen Sie die schönste Vulkanlandschaft der Kanarischen Inseln. Sie haben siebeneinhalb Minuten Zeit“, trieb der weibliche General an, „und ja pünktlich sein, sonst muss ich wieder alles bezahlen“, setzte sie unlogisch, aber wirkungsvoll hinzu – bezahlen, das versteht der Pauschaltourist, der alles umsonst haben will und deswegen am liebsten „all inclusive“ reist. Das bedeutet, sich freiwillig eine Plastikhandschelle umlegen zu lassen, weil es im Hotel alles umsonst gibt und draußen alles was kostet, weshalb man im ganzen Urlaub nie mehr aus dem Hotel kommt – außer zum Busausflug: „Wir haben hier ein Opfer, die Frau Fischer, die muss gequält werden, wer möchte mitmachen? Leute mit aufdringlichem Körpergeruch, zu lauten Stimmen und ausgeprägter Neigung zur Witzischkeit bitte vortreten!“

Das Gute am Pauschalurlaub ist also, dass man diese Menschen nicht in Fischrestaurants trifft, in denen ihre Handschellenwährung nicht gilt, in kanarischen Fischrestaurants mit siebensprachigen Speisekarten, in der alle Gerichte den mühsamen Weg aus dem Spanischen über das Englische, Finnische und Holländische nehmen müssen, ehe sie erschöpft im Deutschen ankommen. Sie reisen sozusagen mit schwerem Gegenwind. Dann sind sie aber echt gut – zum Nachtisch gab es: „Oranje, Wahnsinnige und Honig“.