Berliner halten in Karlsruhe die Hände auf

Die klamme Hauptstadt fordert mehr Geld vom Rest der Republik. Bundesverfassungsgericht verhandelt ab heute

BERLIN taz ■ Für den Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) ist es der wichtigste Prozess seiner politischen Karriere: Heute verhandelt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe über die Klage des Landes Berlin auf zusätzliche Entschuldungshilfen. Wowereit, der mit dem Berliner Tross in einem Hotel im Karlsruher Vorort Ettlingen nächtigte, wird sich vor Gericht mächtig ins Zeug legen. Es geht schließlich um viel Geld: Auf 15 bis 30 Milliarden Euro könnte Berlin sich freuen, sollte das Gericht der Hauptstadt eine extreme Haushaltsnotlage attestieren. Die Höhe richtet sich nach dem finanzwissenschaftlichen Maßstab, der angelegt wird. Bei einem negativen Urteil ginge das mit derzeit 60 Milliarden Euro verschuldete Berlin leer aus. Eine Entscheidung des Gerichtes wird in den kommenden Monaten erwartet.

Zahlen müssten der Bund und die übrigen Bundesländer. Da sie das bisher nicht freiwillig taten, reichte der Berliner Senat 2003 Verfassungsklage ein. Vorbild dafür waren die von der Werft- und Stahlkrise gebeutelten Bundesländer Bremen und Saarland, die sich zu Beginn der Neunzigerjahre Zusatzhilfen in Karlsruhe erstritten. Anders als Bremen will Berlin die Hilfen aber nur für den Schuldenabbau nutzen.

Wie ein Drittweltstaat steckt Berlin derzeit in der Schuldenfalle: Um laufende Ausgaben und Zinsen zu finanzieren, werden immer neue Schulden aufgenommen, die wiederum die Zinslasten erhöhen. Warum aber sollen ausgerechnet der Bund und die reichen Länder einspringen, wenn Berlin finanziell nicht klarkommt? Das fragen sich viele vor allem im Süden der Republik. Werden nicht die Fleißigen bestraft und die Faulen belohnt – zumal Berlin schon von Länderfinanzausgleich und Solidarpakt profitiert? Gehört in einer wirklichen Föderalismusreform die Solidarität zwischen reichen und armen Ländern nicht auf den Prüfstand?

Wer so fragt, verkennt die historischen Realitäten, die – zumindest im Falle Berlins – die katatrophale Haushaltslage verursachten. Berlin, einst ein Wirtschafts- und Verkehrszentrum Deutschlands, leidet bis heute unter den Folgen der Teilung: Bedeutende Großunternehmen wanderten in die westlichen Bundesländer ab. Siemens etwa ging nach München. Frankfurt wurde das Zentrum für Banken und Flugverkehr. Um Westberlin – Ostberlin wirtschaftet ohnehin in einem anderen System – vor Abwanderung zu bewahren, pumpte die Bunderepublik Milliarden in die Mauerstadt. Nach der Wiedervereinigung stoppte die Bundesregierung diese Hilfen abrupt, weil sie eine boomende Hauptstadt erwartete. Das Gegenteil trat ein, und der wirtschaftliche Niedergang verschärfte die Haushaltslage: Sinkenden Einnahmen standen höhere Sozialausgaben gegenüber.

Berlin, das den öffentlichen Dienst zweier Millionenstädte geerbt hatte, beging nach Ansicht vieler Experten vor zehn Jahren den Sündenfall. Damals wurden die Gehälter der Ostbediensteten auf Westniveau angehoben. Die große Koalition hatte eine umgekehrte Angleichung politisch für nicht durchsetzbar gehalten. Stellenabbau und der Verkauf von Wasser-, Gas- und Energiebetrieben bremsten den Schuldenanstieg kaum.

Seit 2001 regiert ein rot-roter Senat – und setzt harte Schnitte: Lohnkürzungen im öffentlichen Dienst von zwölf Prozent, höhere Kita-Gebühren, weniger Studienplätze. Bundesweit einmalig: Berlin senkte seine Ausgaben – die Zinsen für die Schulden nicht mit eingerechnet – seit 1995 um elf Prozent. Im Länderdurchschnitt stiegen sie dagegen um drei Prozent. Diese Zahl wird Landeschef Wowereit, der das Motto „Sparen, bis es quietscht“ ausgab, heute ausführlich erläutern – und damit vielleicht sogar die Karlsruher Richter überzeugen. RICHARD ROTHER