Bierpinsel in Farbe getaucht

ARCHITEKTUR Das Steglitzer Wahrzeichen ist poppig bunt angemalt. Richtig peppig ist das nicht. Und eigentlich wäre die frische Fassade gar nicht nötig gewesen: Der Pinsel war auch so Pop. Eine Polemik

Den Regierenden Bürgermeister, berüchtigt für seine manchmal etwas unterirdischen Partyauftritte, würden wir hier niemals zu sehen bekommen. Nein, Klaus Wowereit, der nicht immer stilsichere Partylöwe, taucht in dieser Disco nicht auf. Jede Wette! Ein Senats-Chillout mit Techno in der „Retro-Lounge“ des Steglitzer Bierpinsels, umrahmt von den aktuell bunten Farben aus der Smarties-Tüte, sähe selbst dieser Regierende nur als Desaster.

Dass im einstigen Restaurant des schrecklich-roten Betonturms an der Schloßstraße seit ein paar Monaten ab und zu Partys laufen, ist eigentlich okay. Auch dass der in die Jahre gekommene Tower aus den 70ern nach heftigem Streit zwischen den Architekten Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte, die auch das ICC entwarfen, und der jetzigen Betreiberin Larissa Latenser zum Kunstobjekt verwandelt werden darf, war keine üble Idee.

Damit hat es sich jedoch mit dem Unternehmen „Turmkunst 2010“. Was sich derzeit ästhetisch dort tut, ist nur als Desaster zu beschreiben. Ein paar klecksige Bärchen-Katzen-Horrormasken-Bildchen sind auf die roten Flächen aufgetragen worden. Den „Stamm“ herunter tröpfeln blaue Streifen. Es sieht nach Farbbeutelwürfen aus. „Wie druffjekotzt“, findet ein Imbissbesitzer gleich nebenan das Graffiti-Projekt in Berlins Südwesten.

Dass man auf eine solche Aussage im tiefen Steglitz nicht viel geben sollte, ist evident. Der konservative, provinzielle Geschmack Berlins ist hier zu Hause. Doch was die gar nicht unbekannten Sprayer Flying Förtress, Honet, Graig Costello und Sozyone hier abgeliefert haben, geht noch unter dem Steglitzer Gusto durch. Angekündigt hatten sie und Latenser, den Bierpinsel per Dose im modernste Streetart zu verwandeln. Ein Unort wäre markiert worden. Styles, Ganggraffitis, abgefahrene modernste LED-Throwies oder irgendwas anderes Irres wären das Richtige gewesen, die geistig-urbane Blockade, die seit dem Autobahnbau über die Schloßstraße herrscht, aufzubrechen. So eine Freiluftgalerie hätte der Schloßstraße gutgetan.

Stattdessen ist das Ganze eingebrochen in ein ästhetisch angepasstes Lifting. Und zudem eines mit viel kommerziellem Touch. Lustige Masken hopsen an den Turmfassaden herum, brav sieht das aus. Ist was für kleine Boys und Girls. Ende des Jahres oder im kommenden Jahr soll die Farbe wieder runter. Das wird wie eine Häutung werden: Dann kann man sehen, dass der 46 Meter hohe Turm wirklich ein Stück Poparchitektur ist, ein futuristisches Antibauwerk, eine Vision, die sich und der Stadt als Schockeffekt selbst genügt. Und so, und nur so, für ’ne Retroparty mit Wowi taugt. ROLF LAUTENSCHLÄGER