EIN STYLE-AWARD ERWEIST SICH ALS EINIGERMASSEN STILLOS, KIM DINGSBUMS TANZT AUF DEN TISCHEN DES VIP-BEREICHS – IMMERHIN ABER GIBT ES NOCH PRÜGELEIEN MIT STIL: Gratis, aber eben auch umsonst
VON JURI STERNBURG
Ich persönlich glaube ja an Hass auf den ersten Blick. Als Channy Leaneagh, Frontfrau der fantastischen US-Band Poliça, endlich auftritt, macht alles wenigstens ein bisschen Sinn. Ein Kritiker des Rolling Stone-Magazins bezeichnete die Band bereits als „das Beste, was ich je gehört habe“, und wenn dieses blasierte Publikum auf der Aftershowparty des Musikexpress-Style-Awards, welches damit beschäftigt ist, Currywürste zu verschlingen, nicht wäre, könnte man sogar Spaß haben an dem rohen Industrie-Sound und der unprätentiösen Sängerin.
Aftershowpartys sind ja generell eher etwas für die Entourage der großen Nummern. Die meisten Stars kriegen sowieso alles umsonst, warum sollen sie sich also auf verrauchten Events rumdrängeln, nur um ein paar Moscow-Mule-Cocktails abzugreifen, immerhin führen sie ja von Haus aus schon ein Leben in Saus und Braus.
Sollte man meinen. Aber hier tummeln sich trotzdem die Übriggebliebenen der soeben erfolgten Verleihung. Wir sind fein raus, schließlich waren wir erst gar nicht auf der eigentlichen Gala, sondern sind direkt zur anschließenden Party im Umspannwerk am Alexanderplatz gefahren, wo sich nun einige sogenannte Promis und Menschen aus der Musikindustrie mit bemitleidenswert verzerrten Gesichtern um die Barkeeper und ihre Drinks prügeln.
Hier hält man es wohl mit dem Ausspruch des Komikers Will Ferrel, welcher feststellte: „Money can’t buy you happiness, but it’s much more comfortable crying in a Mercedes Benz than on a bike.“ Ich kann mir vorstellen, dass er das nicht mal ironisch meinte, Ironie ist schließlich etwas für Menschen, die auch „zum Bleistift“ sagen, und wer tut das schon.
Über der ganzen Szenerie schwebt ein an Seilen aufgehängtes Auto, und es ist nicht das erste Mal an diesem Abend, dass wir uns wünschen, dieses würde sich plötzlich aus der Verankerung lösen und den ein oder anderen Gast von der Tanzfläche wischen.
Als Poliça zum letzten Song ansetzen, machen wir uns vom Acker. Ich verklebe ein paar selbst beschriftete Aufkleber auf diverse C&A-Jackets, dann ziehen wir weiter. Die ganze Veranstaltung war zwar gratis, aber eben auch umsonst.
Es zieht uns in den Asphalt-Club unterm Hilton-Hotel, hier verprassen Mittelstandskids ihr Taschengeld für billigen Sekt, der mit brennenden Wunderkerzen gereicht wird – hier aber verstellt sich wenigstens niemand, die Anwesenden sind tatsächlich derart stillos und zeigen das auch offen und ehrlich.
Mir kommt das entgegen, keiner der Anwesenden redet über die neueste Indie-Band oder über die tätowierten Schweine des Design-Porn-Künstlers Wim Delvoye.
Dafür tanzt Kim Dingsbums auf den Tischen des VIP-Bereichs. Sie war mal im Dschungelcamp, wurde von Uwe Ochsenknechts Sohn geschwängert und hatte laut Bild-Titelseite gerade erst einen schweren Autounfall, seitdem liegt sie wohl auf der Intensivstation. Oder eben auch nicht. Alkohol ist bekanntlich die flüssige Version von Photoshop, dementsprechend gefällt uns das alles, auch die Mädchen mit den durchsichtigen Highheels, die aussehen wie Badelatschen, und die Typen in den Karohemden und den Mario-Gomez-Frisuren.
In den Morgenstunden schlafen wir doch noch ein wenig, ehe es zur Eröffnung der Velvet-Bar geht, einer Örtlichkeit in Neukölln. Der Laden hat Stil, die Drinks sind ehrlich, und man muss nicht über Undergroundkunst reden. Vor der Tür entwickelt sich sogar noch eine handfeste Prügelei, nicht so dramatisch – aber immerhin auch mit Stil. Mit einem Glas in der Hand, an ein Fahrrad gelehnt, entfährt es uns wie einst Tom Gerhardt in „Ballermann 6“: „Endlich normale Leute!“
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