Staat will Bürger vor Presse schützen

RUSSLAND Ein Gesetzentwurf stärkt den Inlandsgeheimdienst FSB – und schränkt die Pressefreiheit weiter ein

Wladimir Putin gehört zu den 40 größten „Feinden der Pressefreiheit“. Die Organisation Reporter ohne Grenzen (ROG) verlieh dem russischen Premierminister den Titel anlässlich des gestrigen internationalen Tags der Pressefreiheit als einem von 40 Politikern, paramilitärischen und terroristischen Organisationen, kriminellen Netzwerken und Führern radikalreligiöser Gruppen.

Der ehemalige KGB-Offizier habe während seiner Präsidentschaft (2000 bis 2008) die Kontrolle über alle Bereiche des Staats und auch der Medien aufgebaut, begründet ROG die Entscheidung.

Mit dem „lupenreinen Demokraten“ Putin (O-Ton Bundeskanzler a. D. Gerhard Schröder) stehen u. a. Chinas Präsident Hu Jintao, Talibanchef Mullah Omar und Nordkoreas „Geliebter Führer“ Kim Jong Il auf der Liste. (taz)

VON BARBARA OERTEL

Russlands Medien geraten weiter unter Druck. Der Hebel, um erneut massiv gegen missliebige Veröffentlichungen vorzugehen, ist eine Ausweitung der Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes FSB. Einem Gesetzentwurf der Regierung zufolge, der dem Parlament kürzlich vorgelegt wurde, hat der FSB künftig die Möglichkeit, Journalisten präventiv zu einem Verhör vorzuladen und von einem Herausgeber zu verlangen, Artikel von der Website einer Publikation zu entfernen, die den Extremismus fördern bzw. Nachrichten enthalten, die zwar nicht geheim, jedoch „unerwünscht“ sind. Sollten die Betroffenen der Aufforderung nicht nachkommen, drohen eine Geldstrafe von bis zu 50.000 Rubel (1.710 US-Dollar) oder maximal 15 Tage Haft.

Wohin die Reise geht, zeigt die Begründung für die Änderungen der Verwaltungsrechts bzw. des Gesetzes über den FSB. Eine Analyse der Informationen, die den Sicherheitsorganen vorliege, habe gezeigt, dass diese zu einer Verstärkung von Aktivitäten radikaler Organisationen und zu wachsenden sozialen Spannungen führten. „Einige Print- und elektronische Medien befördern vor allem bei der Jugend offen negative Prozesse in der geistigen Sphäre, einen Kult von Individualismus und Gewalt sowie das Misstrauen in die Fähigkeit des Staats, seine Bürger zu schützen“, heißt es darin.

Mit den jüngsten Gesetzesänderungen setzt sich eine Entwicklung fort, die bereits 2006 und 2007 mit Änderungen des „Gesetzes über Extremismus“ begonnen hatte. Darin wurde der Begriff des Extremismus auch auf Kritik von Medien an Staatsbediensteten sowie die Berichterstattung über die öffentliche Diskussion extremistischer Aktivitäten ausgedehnt. In der Folgezeit gingen die Behörden auf der Grundlage dieses neu gefassten Gesetzes wiederholt gegen zahlreiche Journalisten und Medien vor.

Am 31. März 2010 wurde die regierungskritische Zeitung Novaja Gazeta, für die auch die 2006 in Moskau ermordete Journalistin Anna Politkowskaja gearbeitet hatte, von der staatlichen Medienregulierungsbehörde Roskomnadzor verwarnt. Das Blatt hatte über die Aktivitäten der neonazistischen Gruppe Russky Obraz (Russische Lebensweise) berichtet und wurde daraufhin beschuldigt, extremistische Informationen verbreitet zu haben. Normalerweise genügen zwei Verwarnungen, um ein Medium zu schließen.

„Extremismus“ ist in Russland auch die Kritik von Medien an Staatsbediensteten

Die geplanten erweiterten Machtbefugnisse des FSB stoßen bei russischen Medienexperten, Rechtsanwälten und Herausgebern auf scharfe Kritik. Die Formulierungen seien zu vage. Zudem würde der FSB uneingeschränkte Möglichkeiten zur Zensur bekommen, die auch schon sein Vorgänger, der KGB, gehabt habe, lautet der übereinstimmende Tenor.

Und Julia Latynina, Journalistin und Expertin für den Nordkaukasus, merkte in einem Interview mit dem unabhängigen Radiosender Echo Moskvy an: „Wenn ich oder mein Herausgeber die absolute Unfähigkeit der Behörden kritisieren, die Separatisten im Nordkaukasus festzunehmen, werden wir für unsere Kommentare zur Verantwortung gezogen. Offensichtlich ist es leichter, Herausgeber als Terroristen festzunehmen.“