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Wider alle Windmühlen

Ein gehaltener Elfmeter bringt Arsenal London ins Champions-League-Finale und seinem weiterhin nicht außergewöhnlichen Torwart Jens Lehmann einen Augenblick ungewöhnlichen Ruhms

AUS VILLARREAL RONALD RENG

Rund, lila und süß war die Belohnung, die Jens Lehmann aus dieser Nacht mitnahm. Er trug sie in der linken Hand, er hob sie sich auf für den ersten wirklichen Moment der Ruhe nach der Schlacht. Ungewollt selbstironisch erschien es, dass Lehmann im süßesten Moment seines Torwartslebens das Stadion der spanischen Kleinstadt Villarreal ausgerechnet mit einer Pflaume in der Hand verließ.

„Dies ist sicher einer der netteren Momente meiner Karriere“, sagte Lehmann, nach drei Jahren beim FC Arsenal in London offenbar geübt in der englischen Alltagskunst der Untertreibung: Ein Torwart, der zwei Minuten vor Abpfiff einen Elfmeter pariert und so sein Team ins Champions-League-Finale bringt, bekommt eine Ahnung, was Unsterblichkeit ist. Jens Lehmann flog ins linke Toreck, es stand 0:0 im Halbfinal-Rückspiel beim Außenseiter FC Villarreal, Arsenals 1:0-Vorsprung aus dem Hinspiel hing am dünnsten Faden. Der Strafstoß von Román Riquelme war noch auf dem Weg, aber man wusste schon: Lehmann hält ihn. Und der Jubel über Arsenals Finaleinzug, den ersten der Klubgeschichte nach vielen epischen Anläufen, brachte etwas ganz Neues: dass sich Engländer freuen, wenn ein Deutscher beim Duell aus elf Metern gewinnt. 1990 und 1996 scheiterte die englische Nationalelf bei WM und EM im Elfmeterschießen an Deutschland, es ist eine nationale Psychose geworden. „Ich mache ja gerne Leute glücklich“, sagte Lehmann, „und ich mache mich auch gerne selbst glücklich.“

Tatsächlich schien Jens Lehmann, so intelligent wie verschroben, zu sehr am Unglück zu leiden, in der deutschen Nationalelf hinter Oliver Kahn seit acht Jahren nur Ersatz spielen zu dürfen. Dann berief ihn vor wenigen Wochen, mit 36 Jahren, Bundestrainer Jürgen Klinsmann doch noch zur Nummer eins für die anstehende Weltmeisterschaft. Der gehaltene Elfmeter war das Symbolbild für diese unwahrscheinliche Wendung: am Ende doch noch ein Triumphator. Wer Lehmann zugesehen hat, wie er im Glauben, allein gegen die ganze Welt kämpfen zu müssen, gegen einige reale und viele eingebildete Widerstände anrannte, der bekam in Villarreal den Eindruck: Don Quijote kann die Windmühlen doch besiegen.

Es gibt keinen besseren Moment als diesen, da Lehmann, wie er selbst sagte, „die paar Schritte von der Hölle hinauf in den Himmel“ genommen hat, ein paar rationale Anmerkungen anzufügen: Lehmann ist ein guter Torwart, gemessen an Erfahrung, Können und Form derzeit Deutschlands bester. Aber er wird nie ein Sepp Maier sein, ein Toni Schumacher; ein Oliver Kahn in der Form von 1999 bis 2002: ein Torwart, der wie selbstverständlich Schüsse hält, die unhaltbar erscheinen. Elfmeter zu halten, das ist Heldentum auf die billige Art zu erlangen.

Lehmann hat weder die Sprungkraft noch die Reflexe für die Einmaligkeit. Vieles hat sich in der emotional diskutierten Torwartfrage der Nation verselbständigt, etwa die Ansicht, Lehmann sei ein sogenannter moderner Torwart, der die Abwehr dirigiere. Kein Torwart dirigiert eine Abwehr. Ein Torwart, der sich bei Fragen, wo sich die Verteidigung positionieren soll, zu sehr einmischt, nervt nur, wie Arsenals großartiger Abwehrorganisator Kolo Touré im Hinspiel gegen Villarreal zum Ausdruck brachte: Er schrie Lehmann an, endlich den Mund zu halten. Und was Lehmanns Drang angeht, den gesamten Strafraum zu seinem Revier zu machen: Er ist tatsächlich einer der besten bei Flanken, aber zu welchem Preis? Lehmann verzockte sich in Villarreal zweimal, als er aus dem Tor stürmte, wo er niemals an den Ball kommen konnte.

Es war vergessen, als er den Elfmeter hielt. Arsenals Kapitän Thierry Henry kam vor dem Strafstoß zu Lehmann und „gab mir einen Tipp“. Lehmann lächelte: „Ich habe mich nicht daran gehalten.“ Riquelme schieße in die Mitte, sagte Henry. Lehmann folgte seinem Instinkt und flog nach links, auf einmal ein Held. Der Moment sei ihm gegönnt. Der Ruhm machte Lehmann, den ewig verbissen Anrennenden, sanft und gelassen, Pflaume in der einen, Trinkflasche in der anderen Hand. Die Engländer scharten sich um ihn, und natürlich wollten sie die Mutter aller Fragen beantwortet wissen: Jens, warum seid ihr Deutschen so gut bei Elfmetern? Lehmann schmunzelte. Ob sie wirklich darüber reden wollten? Denn „vielleicht sehen wir uns bei der WM wieder, Deutschland gegen England, und dann machen euch unsere Elfmeter wieder traurig“.

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