MAUERTOTE: MODROWS FALSCHE „MITSCHULD DES WESTENS“
: Geschichtspolitik für PDS-Jungkader

Selbstkritik ist keine ganz einfache Sache, vor allem wenn es um führende Funktionäre der SED geht. Wer von denen hat sich jemals zu dem Satz aufgerafft: „Sorry, die Umstände waren extrem ungünstig, aber letztlich waren wir es, die den Sozialismus an die Wand gefahren haben“? Auch Hans Modrow, Ehrenvorsitzender der Linkspartei/PDS und eigentlich eine ehrliche Haut, hat sich seiner Verantwortung als Parteikader nie gestellt. Was er allerdings der Zeitschrift Cicero zu sagen hat, verlässt den Rahmen der üblichen persönlichen Reinwaschung. Es geht um den Versuch, im Geschichtsverständnis einer nachwachsenden Generation die SED-Führung zu rechtfertigen, wenigstens aber darum, ihr Handeln nachvollziehbar zu machen.

Im Zentrum von Modrows Argumentation steht die Behauptung, dass für die Toten an der Mauer die Verantwortlichkeit „auf beiden Seiten“ lag. Denn: „Nach der KSZE-Konferenz 1975 in Helsinki bestand im geteilten Deutschland die Chance, aus der Konfrontation in die Kooperation zu gehen.“ Wie bitte? Der KSZE-Prozess brachte die weltweite völkerrechtliche Anerkennung der DDR, sie eröffnete ein weites Betätigungsfeld für Kooperation – einschließlich der humanitären Maßnahmen in „Korb 3“ des Helsinki-Abkommens. Erich Honecker selbst hatte erklärt, dass die Mauer abgebaut würde, wenn die Gründe entfielen, die zu ihrem Bau geführt hatten. Da der KSZE-Prozess die unmittelbare Kriegsgefahr, die angeblich den Bau der Mauer erzwungen hatte, beseitigte, hätte nach 1975 die Initiative zur Revision des Grenzregimes bei der DDR liegen müssen.

Weit davon entfernt, den Helsinki-Prozess auszuschöpfen, sah die SED gerade in dessen gesellschaftlicher und humanitärer Komponente eine Bedrohung ihres Herrschaftssystems. Was sie sich hier abhandeln ließ, betraf niemals zentrale Fragen wie Reisefreiheit oder die „Sicherung der Staatsgrenze“. Die SED-Führung hat bis zur finalen Krise 1989 nicht im Traum daran gedacht, den Überwachungs- und Einschließungsstaat abzubauen. Dafür trägt sie, also auch Modrow, die alleinige Verantwortung. CHRISTIAN SEMLER