Grob fahrlässig gehandelt

PROZESS Für einen Mann, der seinen geistig behinderten Buder verhungern ließ, fordert die Staatsanwaltschaft eine Bewährungsstrafe

„Dem Angeklagten war rechtzeitig Hilfe möglich“

Staatsanwältin Bianca Schöpper

Es lässt sich kaum ausmalen, was sich in Salzgitter zugetragen hat: Ein geistig behinderter 56-Jähriger verhungert qualvoll – weil seine Mutter und sein jüngerer Bruder, der als amtlich bestellter Vormund eingesetzt ist, ihn nicht versorgen. „Es war nichts mehr an ihm dran“, erklärte der Polizist, der den Leichnam gefunden hatte, gestern vor dem Landgericht Braunschweig. Bei der Obduktion wog der 1,83 Meter große Tote noch nur 28,6 Kilogramm.

Während die altersbedingte Schuldunfähigkeit der 73-jährigen Mutter bereits attestiert worden war, sagte der Bruder aus, ihm sei der lebensbedrohliche Zustand des Opfers nicht aufgefallen – auch nicht, beim letzten Besuch vier Wochen vor dessen Tod. „Ich hatte aber aufgrund des Verhaltens meiner Mutter nie einen Grund, um das Wohl meines Bruders zu fürchten“, sagte er in seinem Schlusswort.

Das sehen die Ankläger anders: In ihrem Plädoyer forderte Staatsanwältin Bianca Schöpper eine Bewährungsstrafe von anderthalb Jahren sowie die Zahlung von 5.000 Euro an eine gemeinnützige Einrichtung. Es gebe zwar keine Anhaltspunkte für Vorsatz, sagte Schöpper, aber genügend für grob fahrlässiges Handeln. Der Angeklagte habe sich nicht ausreichend um seinen Bruder gekümmert und hätte die lebensbedrohliche Abmagerung bei seinem letzten Besuch erkennen müssen. Ihm wäre „rechtzeitig Hilfe möglich“ gewesen, sagte Schöpper.

Die Verteidigung plädierte dagegen auf Freispruch: Ihr Mandant habe den Beteuerungen seiner Mutter geglaubt, dass alles in Ordnung sei, sagte Verteidigerin Heike Tödtmann. Die Mutter habe sich nie in die Betreuung reinreden lassen und stets vorgegeben, mit der Pflege zurecht zu kommen. „Eine strafrechtliche Schuld sehe ich nicht.“

Das Urteil soll morgen gesprochen werden.  MAC