Merkel verstört die Unions-Familie

Die CDU tastet sich an ein neues Grundsatzprogramm heran. Die Kanzlerin will ihrer Partei eine moderne Familienpolitik und einen neuen Freiheitsbegriff vermitteln. Doch schon bei der ersten Konferenz bekommt sie das Unbehagen der Basis zu spüren

AUS POTSDAM LUKAS WALLRAFF

Es hat schon bedeutendere Konferenzen in Potsdam gegeben. Konferenzen, die den Gang der Weltgeschichte nachhaltiger verändert haben als eine Regionalkonferenz der CDU. Und doch bleibt etwas hängen nach diesem Dienstagabend, an dem sich die Kanzlerin erstmals mit ihrer Parteibasis traf, um über ein neues Grundsatzprogramm zu reden: der Eindruck, dass Angela Merkel die Union mehr verändern möchte, als es manche in der Union verkraften. Denn wenn sich Merkel durchsetzt, könnte vieles, was Wertkonservativen teuer ist, auf der Strecke bleiben.

Das traditionelle Familienbild zum Beispiel scheint in Gefahr. Schon bevor die Union überhaupt mit ihrer Programmdiskussion begonnen hat, sorgt die aktuelle Tagespolitik für Aufruhr. Einigen in der Union passt es ganz und gar nicht, was Merkel und ihre Familienministerin Ursula von der Leyen im Moment so planen. Väter sollen per Elterngeld dazu gebracht werden, ihre Kinder mit zu erziehen? Das stört nicht nur Ministerpräsidenten. Auch in Potsdam melden sich besorgte Basis-Männer, die grundsätzliche Bedenken äußern. Manch einem geht es zu weit, was die CDU schon vor Jahren, zu Beginn von Merkels Amtszeit als Parteichefin, auf einem kleinen Parteitag beschlossen hat: dass man unter Familie alle Lebensformen zu verstehen hat, wo Erwachsene Verantwortung für Kinder übernehmen. „Da kann ich ja genauso gut zur SPD gehen“, ruft ein Delegierter aufgebracht. Die CDU sollte sich wieder deutlicher zur herkömmlichen Familie bekennen. Der Gastgeber, Brandenburgs CDU-Chef Jörg Schönbohm, verkleidet seinen Widerstand gegen die Merkel’sche Modernisierung in hausbackener Rhetorik. Sein „besonderer Dank“ gilt allen Müttern, die sich um Kinder kümmern. Das sei gerade in den ersten Jahren besonders wichtig für die Kinder. Denn: „Da lernen sie auch ihre Muttersprache.“

Unterstützung für ihren familienpolitischen Kurs bekommt Merkel in Potsdam nur von Frauen. Katherina Reiche etwa, einst in Edmund Stoibers Kompetenzteam und inzwischen mehrfache Mutter, preist die Reformideen der Chefin. „Die Frage ist: Sind sie in der Partei auch angekommen?“ Nun ja. Merkel gibt sich zuversichtlich. Im Moment gebe es „heiße Debatten“, sagt sie und fügt hinzu: „Ich finde das gut!“

Lange galt Merkel als Politikerin, die nur darauf bedacht sei, an die Macht zu kommen. Doch nun, da sie es geschafft hat, tut sie alles, um den Eindruck zu vermitteln, als sei sie damit längst noch nicht zufrieden. Als gedenke sie ernsthaft, ihre Partei zu modernisieren – und zu einer Programmpartei zu machen. Das wäre wirklich etwas Neues. Bisher galt in der Union vor allem ein Grundsatz: Es ist gut, wenn wir regieren. Nun ermuntert Merkel ihre Partei ausdrücklich zu einer offenen Diskussion und räumt ein, dass sie längst noch nicht zu allen Themen eine Antwort hat. Zum Auftakt der Programmdebatte, die bis Herbst 2007 dauern soll, lässt sie ein Papier verteilen – mit 224 Fragen.

Nur das Motto gibt die Chefin vor: „Neue Gerechtigkeit durch mehr Freiheit“. Doch auch das ist noch umstritten. Oliver Scholz etwa macht sich große Sorgen. Einerseits habe er „eine tolle Rede unserer Vorsitzenden“ gehört, sagt der CDU-Kommunalpolitiker aus Berlin. Aber bei der Überschrift sollte Merkel „aufpassen“. Er habe „Angst, dass wir durch diese Überschrift Angst bei den Menschen verbreiten“. Eine Angst, „die natürlich unbegründet ist“. Aber damit das auch alle glauben, sollte die CDU ihr Freiheitsmotto um ein Wörtchen ergänzen: „Solidarität“. Eine Antwort bekommt Scholz nicht, nur eine Zusicherung von Moderator Georg Milbradt: „Es ist alles mitgeschrieben worden.“